Volontariat: Journalistenausbildung in den Medienhäusern

Das Volontariat bei den meisten Zeitungen ist mittlerweile crossmedial. Digitales Know-how steht stärker im Fokus. Die Medienhäuser stehen vor der Herausforderung, qualifizierten Nachwuchs zu gewinnen. Hier berichten Volo-Verantwortliche über ihre Ausbildungsprogramme.

FreeTech Academy / Axel Springer Marc Thomas Spahl, Chef der Journalistenausbildung bei Axel Springer und Freetech-Gründungsdirektor

  • Was zeichnet Ihre Ausbildung aus?
    Wir verbinden die Vorteile einer traditionsreichen Journalistenschule mit dem Praxis-Bezug eines Volontariats. Unsere Schülerinnen und Schüler verbringen vor allem das erste Lehrjahr immer abwechselnd an der Journalistenschule und in ihrer selbst gewählten Stammredaktion, wo sie das, was sie gelernt haben, sofort in der Praxis umsetzen und vertiefen können. Das Ausbildungssystem hat sich bewährt: Die Übernahmequote liegt regelmäßig bei 80 bis 90 Prozent.
  • Welchen Anspruch verfolgen Sie?
    Die fortschrittlichste Journalistenausbildung des Landes anzubieten. Das zeigt sich auch bei unseren Digital-Projekten, für die unsere Teams oft ausgezeichnet wurden, darunter mit dem Henri-Nannen-Preis und dem Grimme Online Award. Um dem Anspruch gerecht zu werden, stellen wir unsere Lehrpläne ständig auf den Prüfstand, nehmen neben den Basics immer wieder neue Inhalte auf, bei der aktuellen Entwicklung in unserem Verlag natürlich verstärkt Fernseh-Ausbildung, aber auch Audio, Daten-Journalismus, die Möglichkeiten von KI im Journalismus etc. Dazu passt, dass wir letztes Jahr die „FreeTech Academy of Journalism and Technology“ gegründet haben, in der die bisherige Axel Springer Akademie aufgegangen ist.
  • Was ist neu daran?
    Unter einem Dach vereint sie unsere Journalistenschule, die den Nachwuchs für alle Redaktionen des Verlags ausbildet, und nun auch ein eigenes Programm für Tech-Experten, bei dem wir mit der renommierten CODE University of Applied Sciences zusammenarbeiten. Diese beiden Stränge verzahnen wir eng miteinander, um so die Grundlage für eine echte Zusammenarbeit zwischen Journalisten und Techies auf Augenhöhe zu schaffen. Ein extrem praxisorientierter, interdisziplinärer Ansatz, den es noch nirgendwo gibt und zu dem auch unsere Aufgabe als Thinktank an der Schnittstelle zwischen Technologie, Gesellschaft und Freiheit gehört. Insofern leisten wir an der FreeTech gemeinsam mit unseren Studierenden gerade echte Pionierarbeit. Natürlich bleiben wir bei einer klar differenzierten Ausbildung, auch in Zukunft müssen nicht alle unsere JournalistInnen programmieren können und nicht alle Techies perfekt texten oder filmen. Aber sie müssen ein tiefes Verständnis für die andere Gruppe entwickeln und einfach Bock haben, miteinander zu arbeiten und den besten Journalismus zu machen, der gerade möglich ist.
  • Wie viele Journalistenschülerinnen und -schüler nimmt Ihr Haus jedes Jahr auf und wie ist der Bewerbungsprozess, gibt es zum Beispiel  Bewerbungsvoraussetzungen?
    Bis zu 40, die wir in einem mehrmonatigen Auswahlverfahren aus Hunderten Bewerbern aussuchen. Die teilen wir in zwei Teams auf, um intensives individuelles Arbeiten zu ermöglichen. Und nein, an unserer Journalistenschule gibt es bis auf das Mindestalter 18 bewusst keine Zugangsvoraussetzungen. Wir wollen einfach die besten Talente zu uns holen. Da spielt es keine Rolle, ob jemand einen Studienabschluss hat oder viele Praktika vorweisen kann.
  • Wie sehen die Bewerberprofile aus – Stichworte Studium/Vorwissen/Geschlechtsunterschiede – und wie anspruchsvoll sind die Schüler? Ist Work-Life-Balance zum Beispiel ein Thema?
    Im Durchschnitt sind unsere Journalistenschüler Mitte 20, viele haben studiert und auch praktische Erfahrung gesammelt, aber wir haben auch immer wieder Abiturienten in unseren Teams, die sich ganz bewusst bei uns bewerben und mit denen wir ganz offen besprechen, ob es schon der richtige Zeitpunkt ist. Für einige ist er das. Bis vor drei, vier Jahren hatten wir rund zwei Drittel Frauen und ein Drittel Männer, das hat sich in den letzten beiden Jahrgängen umgekehrt, im aktuelle Auswahlverfahren stehen wir gerade bei 50:50. Work-Life-Balance ist natürlich ein Thema, aber wir erleben, wie unsere Schülerinnen und Schüler das sehr breite Angebot, das wir ihnen machen, auch bis zur Neige ausschöpfen wollen.
  • Wie hat sich die Nachfrage verändert?
    Sie ist relativ konstant, in den letzten Jahren aber leicht zurückgegangen. In der Regel haben wir für die 40 Plätze zwischen 400 und 500 qualifizierte Bewerbungen, d.h. solche, die nicht nur einen Account eröffnen, sondern alle gestellten Aufgaben erfüllen.
  • Wie sieht es beim Thema Diversity aus? Wird das Thema in irgendeiner Art berücksichtigt bei der Zusammensetzung der Volo-Jahrgänge?
    Es gibt keine Quoten, aber natürlich achten wir darauf. In den letzten Jahrgängen hatten wir zum Beispiel geflüchtete junge Kolleginnen und Kollegen aus Syrien und Bangladesch, auch nächstes Jahr wird das so sein. Wir wollen insgesamt noch viel mehr Diversität in unseren Lehrgängen abbilden und kommunizieren deswegen intensiv in die verschiedensten Richtungen, Gruppen und Milieus.
  • Ein Blick in die Zukunft: Haben Sie konkrete Pläne für weitere Veränderungen und falls ja: Welche wären das?
    Die wichtigste Veränderung ist das, was unsere neue FreeTech Academy mit sich bringt. In einem Team-Workshop wurde ich kürzlich gefragt, welche Ziele ich in fünf Jahren gern verwirklicht sehen würde – es waren diese drei: Erstens, „Europe’s leading journalism and tech school“ geworden zu sein. Zweitens, so viel Bedarf im Verlag und so viele exzellente Bewerbungen zu haben, dass wir vom Vorstand den Auftrag bekommen, die Kapazität der FreeTech zu verdoppeln. Und drittens, dass einer unserer Tech-Studierenden in eine Chefredaktion von Axel Springer berufen wurde.

Saarbrücker Zeitung Peter Stefan Herbst, Chefredakteur

  • Wie viele Volontäre nimmt Ihr Haus jedes Jahr auf und wie ist der Bewerbungsprozess (Bewerbungsvoraussetzungen)?
    Jedes Jahr fünf bis sieben Volontäre, aktuell sind zwölf an Bord. Hochschulstudium ist erwünscht, aber keine Bedingung. Wir haben auch mit Studienabbrechern sehr gute Erfahrungen gemacht. Mehrere Praktika, eine längere freie Mitarbeit und gute Arbeitsproben sind uns wichtig. Die Entscheidung fällt nach dem persönlichen Bewerbungsgespräch. In der Corona-Pandemie waren es leider nur Video-Interviews.
  • Wie sehen die Bewerberprofile aus (Studierte/Vorwissen/Geschlechtsunterschiede) und wie anspruchsvoll sind die Volontäre (ist Work-Life-Balance ein Thema)?
    Rund 75 Prozent unserer Bewerber verfügen über ein abgeschlossenes Hochschulstudium, 25 Prozent haben kein Hochschulstudium aufgenommen oder ein Hochschulstudium abgebrochen. Der Anteil  von Bewerberinnen ist mittlerweile deutlich höher als der der Bewerber (60:40). Work-Life-Balance ist ein immer stärkeres Thema. Fragen nach Arbeitszeiten, Home Office und Möglichkeiten zu späterer Teilzeit werden häufiger gestellt als früher.
  • Wie hat sich die Nachfrage verändert?
    Wir müssen uns heute stärker als früher um guten Nachwuchs bemühen. Jahrelang waren keine Stellenanzeigen erforderlich, die Bewerbungen kamen frei Haus. Das ist heute anders. Das zahlreiche ehemalige Volontäre der Saarbrücker Zeitung auch bei überregionalen Titeln wie FAZ, Welt, Handelsblatt oder bei ARD-Sendern Karriere gemacht haben, hilft uns ins im Wettbewerb zu anderen Regionaltiteln. Der bekannteste Volontär der Saarbrücker Zeitung war übrigens Peter Scholl-Latour, dessen Karriere 1948 in Saarbrücken begann.
  • Wie sieht es beim Thema Diversity aus? Wird das Thema in irgendeiner Art berücksichtigt bei der Zusammensetzung der Volo-Jahrgänge?
    Wir würden gerne noch stärker auf Vielfalt setzen. Mit Volontärinnen, die u.a. aus dem Libanon und Frankreich kamen, haben wir ausgezeichnete Erfahrungen gemacht. Die Zahl der Bewerber mit vergleichbaren Hintergründen und Zugängen ist aber begrenzt.
  • Ein Blick in die Zukunft: Haben Sie konkrete Pläne für weitere Veränderungen und falls ja: welche wären das?
    Wir müssen die Ausbildung mit Blick auf digitales Know How weiter verstärken.

Mediengruppe Oberfranken Isabelle Epplé

  • Wie viele Volontäre nimmt Ihr Haus jedes Jahr auf und wie ist der Bewerbungsprozess (Bewerbungsvoraussetzungen)?
    Das ist von Jahr zu Jahr unterschiedlich; 2021 kamen drei Volos dazu. Voraussetzung sind ein abgeschlossenes Hochschulstudium, Erfahrungen im journalistischen Berufsspektrum (Praktika, freie Mitarbeit), hohe Affinität zu digitalen Medien sowie Social Media.
  • Wie sehen die Bewerberprofile aus (Studierte/Vorwissen/Geschlechtsunterschiede) und wie anspruchsvoll sind die Volontäre (ist Work-Life-Balance ein Thema)?
    Die meisten Bewerber:innen haben Politik, Publizistik studiert. Aber mittlerweile bewerben sich auch Quereinsteiger:innen (z.B. Pflege, Pädagogik). Die Bezahlung ist ihnen wichtig, ebenso die Lebensqualität an den Einsatzorten bzw. sollen Ausbildungsredaktion und Wohnort nicht zu weit auseinanderliegen. Selten werden Einsätze/Dienste am Wochenende kritisiert/abgelehnt.
  • Wie hat sich die Nachfrage verändert?
    Die Nachfrage ist geringer, die Qualität der Bewerbungen schwankt.
  • Ein Blick in die Zukunft: Haben Sie konkrete Pläne für weitere Veränderungen und falls ja: welche wären das?
    Hier würde ich Sie bitten, sich an meine Nachfolge zu wenden. Ich persönlich hätte mich weiterhin dafür stark gemacht, einen Haustarifvertrag auf den Weg zu bringen, da die Bezahlung ein wichtiges Kriterium dafür ist, ob man als Journalist:in oder als Sprecher:in für Behörden und Unternehmen arbeitet. Und das ist ja etwas, das direkte Wirkung auf die Demokratie hat. Außerdem muss ich immer wieder dafür werben, Volos als Zusatzkräfte zu sehen, die ein Recht auf Ausbildung haben.

Mittelbayerischer Verlag Josef Pöllmann, Chefredakteur

  • Wie viele Volontäre nimmt Ihr Haus jedes Jahr auf und wie ist der Bewerbungsprozess (Bewerbungsvoraussetzungen)?
    Die Mittelbayerische Zeitung hat permanent zehn Volontärinnen und Volontäre an Bord. Da die Zahl der qualifizierten Bewerber abnimmt, müssen wir initiativ werden. Wir gehen zum Beispiel an Hochschulen und werben. Wir sind bei (virtuellen) Ausbildungsmessen vertreten, Wir gestalten Seminare für Journalistik-Studenten. Es gibt Kooperationsprogramme mit der Deutschen Journalistenschule in München. Und wir scouten unter unseren sehr guten freien Berichterstattern. All das mit dem Ziel, die Qualität unter unseren Volontären hochzuhalten.
    Vor nicht allzu langer Zeit haben wir ausschließlich Wert auf ein abgeschlossenes Studium gelegt. Von dieser Regel weichen wir mittlerweile in wenigen Ausnahmefällen ab.  In den letzten beiden Jahren ist es uns beispielsweise gelungen, zwei hervorragende und talentierte freie Mitarbeiter weiterzuentwickeln und zu multimedial arbeitenden Redakteuren auszubilden. Beide hatten „nur“ den Schulabschluss Abitur.
  • Wie sehen die Bewerberprofile aus (Studierte/Vorwissen/Geschlechtsunterschiede) und wie anspruchsvoll sind die Volontäre (ist Work-Life-Balance ein Thema)?
    Die Volontäre, die heute bei uns arbeiten, sind ganz andere Typen als noch vor zehn Jahren. Sie sind alle mit Feuereifer bei der Sache, wollen sich aber gleichzeitig permanent ausprobieren können. Die Work-Life-Balance spielt bei ihnen eine große Rolle, aber nicht in dem Sinn, dass die permanent auf die Uhr schauen würden. Sie haben an sich selbst den Anspruch, vor Ort zu sein, wenn ein Thema brennt, egal wie lange es dauert. Sie fordern dann aber auch – eine Selbstverständlichkeit  –  den zeitlichen Ausgleich. Neue Arbeitsmethoden wie Mobile Office stehen bei ihnen hoch im Kurs. Wir bieten eine Mischform (2 Tage Präsenz, 3 Tage Mobile Office) an. Das macht uns auch bei den Volontären zu einem attraktiven Arbeitgeber. Auch die Ausstattung mit multifunktionalen Notebooks ist so ein Benefit. Übrigens: Für Textarbeit und -feedbacks spielt es keine Rolle, ob zuhause oder in der Redaktion gearbeitet wird. Die Volontäre wollen heutzutage mehr mitbestimmen können, etwa bei den Einsatzorten. Bei uns sticht heraus, dass die Volontäre den Teamgedanken sehr hochhalten. Untereinander, aber auch im Zusammenspiel mit den erfahreneren Redakteurinnen und Redakteuren. Ideal ist für sie eine Kombination, in der sie den Älteren  bei multimedialen Fragen zur Seite stehen können, andererseits von diesen aber Recherche-Tipps und Wissen über die Regionen und die Menschen in der Region abgreifen können – eine Art Generationenvertrag, bei dem man sich gegenseitig hilft. Volontäre haben unglaubliche viele kreative Ideen, was Themen, Herangehensweisen, Redaktionsorganisation oder Kommunikationsformen anbelangt oder wie agiles Arbeiten funktionieren kann. Man muss diese Ideen nur abgreifen. Das haben wir Ende Juni 2021 bei einem Workshop gemacht, bei dem die Volontäre folgende Aufgabe bearbeiten mussten: Was würdet Ihr in der Redaktion verändern, wenn Ihr die Chance dazu hättet? Das Ergebnis war ein Feuerwerk an Hinweisen und kreativen Ideen, die wir tatsächlich nach und nach auch in die Redaktion integrieren werden. Ein grandioser Workshop.
  • Wie sieht es beim Thema Diversity aus? Wird das Thema in irgendeiner Art berücksichtigt bei der Zusammensetzung der Volo-Jahrgänge?
    Diversity ist nicht das erste Ziel bei der Zusammenstellung unserer Volontärsjahrgänge. Wir achten auch nicht gezielt darauf, dass unterschiedliche Menschen aus verschiedenen Kontexten zu uns kommen. Wir stellen die Leute ein, die uns in den Bewerbungsgesprächen und -tests mit ihrem Können und ihrer Persönlichkeit überzeugt haben. Bei den Volontären haben wir etwas mehr Frauen. Der regionale Bezug bringt bei uns immer einen leichten Vorteil.
  • Ein Blick in die Zukunft: Haben Sie konkrete Pläne für weitere Veränderungen und falls ja: welche wären das?
    Wir arbeiten gerade an Veränderungen unserer Ausbildungskonzepte, weil wir glauben, dass das Volontariat in der jetzigen Form nicht passgenau zum multimedialen Arbeitsalltag und zur Lebenswirklichkeit von Journalisten passt. Die Basis der Ausbildung wird immer exzellenter Journalismus bleiben, eine Kenntnis der Stilformen also und das tägliche Bemühen, die Rolle der Presse und die daraus entstehenden Aufgaben zu erfüllen. Auch das Wissen um rechtliche Rahmenbedingungen gehört zu diesen Grundlagen. Und ganz wichtig: die Antwort auf die Frage, für wen wir als Mittelbayerische die Produkte machen und wie wir die Nähe zu diesen Kunden herstellen. Daneben gibt es aber weitere Themen: multimediales Erzählen, digitales Storytelling, Video, Live-Berichterstattung, Podcasts, die mit Datenerkenntnissen unterstütze inhaltliche Redaktionsarbeit und natürlich Vertiefungen in den Arbeitsbereichen, die sich die Volontäre wünschen. Nicht zu vergessen das agile Arbeiten in der Redaktion und die Fähigkeit, konzeptionell zu denken. Wir glauben mittlerweile, dass wir diese Ausbildungsblöcke nicht mehr sinnvoll in zwei Jahren Volontariat unterbringen können. Eine Möglichkeit wäre es für uns, neben dem klassischen Volontariat eine weitere, dann möglicherweise von einer Journalistenschule zertifizierte Ausbildung anzubieten, die zwei Jahre und 8 Monate dauert – im dritten Ausbildungsjahr natürlich mit einem höheren Gehalt. Das hätte den Charme, dass wir junge Menschen gezielt für unseren Bedarf ausbilden könnten.