Theodor-Wolff-Preis 2023 geht an Dunja Ramadan, Moritz Aisslinger, Julia Ruhnau, Jan Georg Plavec und Simon Koenigsdorff sowie an Daniel Brössler Festredner Can Dündar: „Wenn Sie die Pressefreiheit verlieren, verlieren Sie ein ganzes Land.“
„Halten Sie Ihre Pressefreiheit nicht für selbstverständlich. Wenn Sie sie verlieren, verlieren Sie nicht nur einen Berufsstand, die Journalisten, sondern ein ganzes Land.“ Das erklärte der Journalist und frühere Chefredakteur der türkischen Zeitung „Cumhuriyet“, Can Dündar, bei der Verleihung des Journalistenpreises der Digitalpublisher und Zeitungsverleger – Theodor-Wolff-Preis (TWP) in Berlin.
Der in seiner türkischen Heimat politisch verfolgte und im Berliner Exil lebende Festredner machte sich in seiner bewegenden Ansprache im Berliner Radialsystem V Gedanken über die Grenzen von Journalismus und Aktivismus. „Der Kampf für freie Medien ist nicht denkbar ohne den Kampf für Demokratie“, an diesem Punkt träfen sich Journalismus und Aktivismus, sagte er. Aktivistischer Journalismus könne nicht verurteilt werden, wenn es für die Betroffenen ums Überleben gehe. „Fragen Sie sich selbst“, rief Dündar die anwesenden Journalistinnen und Journalisten auf: „Wenn Sie wüssten, dass morgens die Polizei vor Ihrer Tür steht und Sie verhaftet für das, was Sie geschrieben haben, wenn Ihnen dafür langjährige Haftstrafen drohen - würden Sie dann noch publizieren?“
- In der Kategorie Meinung geht der Preis an Dunja Ramadan, „Der Garten und der Dschungel“, Süddeutsche Zeitung (München). Ramadan kritisiert in ihrem Kommentar die Überheblichkeit der Deutschen bei deren Ablehnung der Vergabe der Weltmeisterschaft nach Katar. „Es kommt nicht so oft vor, dass den Deutschen so der Spiegel vorgehalten wird“, würdigte die Jury. Ramadans Argumentation sei gut nachvollziehbar. Es handele sich um einen „wichtigen Text, der den Tag überstehen wird“.
- In der Kategorie Reportage zeichnet die Jury Moritz Aisslinger, „Dem Sturm ausgeliefert“, aus, erschienen in Die Zeit (Hamburg). „Perfekt formuliert, exzellent gebaut und packend“ beschreibt der Autor das spurlose Verschwinden von 90 Containerschiffen und deren Mannschaften pro Jahr. Aisslinger gelinge es, lobt die Jury, emotional berührend ein Thema „völlig außerhalb unserer Wahrnehmung“ vorzustellen, das doch jedermann sehr direkt berühre, weil die Inhalte der Schiffscontainer den Alltag ausstatten.
- Die Würdigung in der Kategorie Bestes lokales Stück erkennt die Jury Julia Ruhnau, „Endlevel Hass“, Nürnberger Nachrichten/ Nürnberger Zeitung zu. Die Geschichte eines jungen Bloggers, der durch sein exzessives Auftreten als „Drachenlord“ im Internet den ungebremsten und schließlich auch mordlustigen Abscheu der Netzgemeinde auf sich zieht, wurde oft erzählt, sagt die Jury, „aber nicht so“. Ruhnau habe das Material „souverän sortiert“ und daraus „eine relevante Story“ geschmiedet.
- Erfolgreich in der Kategorie Bestes lokales Digitalprojekt sind Jan Georg Plavec und Simon Koenigsdorff mit ihrer „Klimazentrale Stuttgart“, Stuttgarter Zeitung/Stuttgarter Nachrichten. Hier handele es sich um ein genuin digitales Angebot, das es so in Print nicht geben könne, heißt es dazu von der Jury. Die beiden Datenjournalisten hätten ein Projekt mit hohem Nutzwert für Stuttgart und Umgebung entwickelt, das jedem Interessierten Antwort auf die Frage gebe: „Ist das nur Wetter oder ist das schon Klima?“
- Beim Thema des Jahres „Der Krieg in Europa – Und was die Zeitenwende bedeutete“ vergibt die Jury den Preis an Daniel Brössler, „Schreckliche neue Welt“, Süddeutsche Zeitung (München). Brösslers tagesaktuelle Zusammenfassung des Auftritts von Bundeskanzler Scholz mit seiner „Zeitenwende“-Rede am 27. Februar 2022 im Bundestag sei „Tageszeitungsjournalismus at its best“, würdigte die Jury. Binnen weniger Stunden habe der Autor mit breitem Hintergrundwissen ein historisches Ereignis so aufbereitet, „dass es weit über die TV-Nachrichten-Berichterstattung hinausreichte“.