Mein Kanzler

von Jochen Arntz

Maike Richter ist die zweite Frau von Helmut Kohl. Sie pflegt, schützt und kontrolliert ihn. 
Und sie baut eine Mauer um ihn herum. Damit schreibt auch sie Geschichte.

Mauern können Menschen schützen, können sie vor neugierigen Blicken bewahren, in all ihrer Bedrängnis. Doch auch Gefängnisse haben Mauern, sie sind von innen und von außen zu sehen. 

Dies ist die Geschichte einer Frau, die eine Mauer baut; die Mauer verläuft quer durch die Familie, sie trennt die Frau und ihren alten Mann von seinen Kindern, trennt ihn von seiner Vergangenheit. Und sie trennt das Paar vom Leben, von den Freunden, die sie einst umgaben, die vor allem ihn umschwirrten. 

Die Frau hinter der Mauer würde wohl eher von einer festen Burg reden, die sie errichten musste. Um darin ein wenig Glück und Frieden zu finden. Allein mit diesem berühmten Mann, den immer alle für sich haben wollten. Den ihr längst nicht jeder gönnt, selbst jetzt nicht, da er krank ist und ein hilfsbedürftiger Mensch. Auch jetzt nicht, da sie schon lange seine zweite Frau ist: Maike Kohl-Richter, 48 Jahre alt.  Vielleicht muss man zurück zu den Anfängen gehen, zu den Tagen, an denen die ersten Reihen gesetzt wurden, um zu verstehen, wie diese Mauer wuchs, die man nicht sehen kann, die aber jeden zurückweichen lässt, der einmal vor ihr stand. Ein Bollwerk, das nicht aus Steinen zusammengefügt wurde, sondern aus Sorge, Macht und Mitgefühl. 

Es ist der 23. April 2005, als Karl-Hermann Schlabach, ein Redakteur der Siegener Zeitung , eine Nachricht sieht, die ihn stutzen lässt. „Es stimmt, ich habe eine neue Lebenspartnerin“, liest er in der Bild -Zeitung, und er sieht einen alten Mann und eine junge Frau. Den Mann kennen alle in Deutschland: Helmut Kohl. Die junge Frau kennen damals nicht viele. Ein paar Leute in Bonn, ein paar in Berlin und manche noch in Siegen, dort, wo sie herkommt. 

Unglaublich, denkt Schlabach. Maike Richter aus dem Dorf Oberheuslingen bei Freudenberg, ganz in der Nähe von Siegen, sie ist die neue Freundin von Helmut Kohl? Die kleine Richter, die früher immer mit ihrer Mutter Evelyn in der Redaktion der Siegener Zeitung aufgetaucht war? 

Evelyn Richter war in den 70er- und 80er-Jahren Lokalreporterin im Siegerland: Kaninchenausstellungen, Schützenfeste, Stadtpolitik, das wahre Leben. Vier Kinder hatte sie und einen Ingenieur als Mann, sie schrieb ihre Artikel in der Nacht; und Maike war oft dabei, wenn sie über die Dörfer zog. Das ist doch noch nicht lange her, denkt Schlabach, die Redaktionsräume der Zeitung, sein Büro, das alles hat sich kaum verändert seit jenen Tagen. Und Maike, der Teenager aus Oberheuslingen, ist jetzt Frau Kohl, oder fast zumindest?

Das ist meine Geschichte, sagt sich Schlabach. Er kennt sie ja von damals, die junge Maike Richter. Sie hat auch ein Praktikum in der Redaktion gemacht. Jetzt würde er sie anrufen oder zumindest jemanden, der noch ihre Nummer hat. Das tut er dann auch, er meldet sich, wo er kann und hinterlässt die Bitte, Maike möge zurückrufen. „Ich brauchte ja nur ein Zitat von ihr für unsere Zeitung“, sagt Schlabach heute. 

Er hat nie etwas von ihr gehört.  „Ich habe dann keinen Kontakt mehr zu ihr gesucht“, sagt Schlabach. Er wusste jetzt, wo die Mauer stand. Und nichts würde sich daran mehr ändern.  Schlabach ahnt, dass es vielen so ergangen ist wie ihm. Er war einer der Ersten, die gespürt haben, was noch viele spüren würden in den Jahren danach: Distanz. In diesen langen Jahren bis zum heutigen Tag, in denen die Frau, die er als Maike Richter kannte, einen nach dem anderen aussortiert und auf Abstand gehalten hat. Aus ihrer Vergangenheit, aus der Vergangenheit Helmut Kohls. Bis die beiden so allein da saßen, wie sie es heute tun, im Sommer 2012, in dem Bungalow in Oggersheim. 

Allein mit den Erinnerungen, den Briefen und Akten aus der Zeit, als Helmut Kohl noch Kanzler war, als seine erste Frau noch lebte, und Maike Richter ihn schon bewunderte, ihm nahe sein wollte. So wie sie sich das immer schon wünschte, als Teenager in der Jungen Union in Siegen. Und als junge Mitarbeiterin im Kanzleramt, wo sie ihn endlich kennenlernte. 

Es gab Zeiten, da jubelte sie ihm mit Tausenden anderen zu. Jetzt hat sie ihn für sich allein. Ganz allein. So leben sie wie zwei Menschen, die am Abend im Museum eingesperrt wurden, versehentlich. Aber es ist kein Versehen. Sie wollte es so.     Sie kann jetzt all die alten Briefe lesen, auch die liebevollen, bisweilen zärtlichen Worte Helmut Kohls an seine erste Frau: an Hannelore. Alles ist da in dem Haus in Oggersheim, unter ihrer Kontrolle. Die ganze Geschichte. Und Eifersucht findet immer einen Grund. Die junge Frau kann den alten Mann nach längst Vergangenem fragen. Sie verwaltet die Erinnerungen. Er kann dazu nicht mehr viel sagen. Was soll er auch tun? Sich rechtfertigen für die Zeit, in der sie noch nicht Frau Kohl-Richter war? Dafür, dass es vor ihr schon einmal die Frau seines Lebens gab. Das wird einigen Männern so gehen, die wieder geheiratet haben. Aber wird hier, im Fall von Helmut Kohl, das Private nicht politisch? 

Manche, die noch über die Mauer schauen können, sehen mehr als eine Ehe in Oggersheim. Sie sehen Politik und Geschichte. Sie erinnern sich, wie ein deutscher Altkanzler sich anfangs von einer jungen Frau beim Schreiben von Artikeln und Büchern helfen ließ. Und heute sehen sie diese Frau selbst schreiben, so, als habe sie dieses Land einmal geführt. Sie redigiert jetzt die Vergangenheit. Im dritten Band von Helmut Kohls Memoiren taucht die Widmung „Für Hannelore“ nicht mehr auf.  Hier wird Geschichte gemacht, nachträglich. Und manches soll verschwinden. Was wird übrig bleiben von den Briefen, Akten und Papieren in Oggersheim? Wem gehört der Altkanzler Kohl? Wer darf sein Leben erzählen? Nur seine zweite Frau?  „Das, was da passiert, ist eigentlich irre, das geht nicht, denn ihr Mann hat ja eine gewaltige, eine lange politische Vergangenheit.“ So redet jemand, der diese Vergangenheit kennt, bis in die Anfänge. Und der sagt, sein Name tue nichts zur Sache. 

Als ein Autor der FAZ im Herbst 2010 ein Stück über Kohls Lebensleistung und die deutsche Wiedervereinigung schreibt, erwähnt er auch Hannelore Kohl, es geht ja um die späten 80er-, die frühen 90er-Jahre. Maike Kohl-Richter erwähnt er nicht. Da ist ihr Zorn groß. Doch in den Jahren davor hat sie noch Hannelores alte Kleidung aufgetragen und sich darin sehen lassen. 

Helmut Kohl spricht – nach allem, was man weiß – überhaupt nur noch wenig hinter der Mauer, die das Paar umgibt. Das mag einem leid tun. Walter Kohl, dem älteren der beiden Söhne, fällt es nicht leicht zu sagen: „Aber er hat sich diese Frau ausgesucht.“ Er hat sie gebraucht, vielleicht braucht er sie nun mehr denn je. Und gilt das nicht auch für sie? 

Es gibt heute nicht mehr viele, die einen nahen Blick auf dieses Leben eines alten Mannes und einer jungen Frau haben. Einer, dem das gelegentlich gelingt, ist Dirk Metz. Er war Regierungssprecher des hessischen Ministerpräsidenten Roland Koch, und er ist ein Mann klarer Worte. Aber auch einer, der sich des Werts von Freundschaften bewusst ist. Besonders, wenn sie schon lange währen. Deshalb spricht er im Fall von Maike Richter so vorsichtig er kann. Es ist erstaunlich, dass er überhaupt über sie spricht. Wahrscheinlich hat er einfach genug davon, dass so viele schlecht über eine Frau reden, die er lange kennt. Und die er für einen guten Menschen hält. 

Metz, ein Mittfünfziger mit Schnurrbart, kommt auch aus Siegen. Er war dort Vorsitzender der Jungen Union; und als er Maike Richter fragte, ob sie mit ihm Politik machen wolle, ob sie für den Kreisvorstand der jungen Konservativen kandidieren wolle, da sagte sie: Ja. Das war für sie der Einstieg in die CDU. Wenn man so will, hat Dirk Metz damit ein kleines Stück an einer großen Geschichte mitgeschrieben.  Heute sitzt Metz in einem Frankfurter Büro, das ihm einen gewissen Überblick bietet, über die Stadt und das Leben. Er ist ein Fachmann für Kommunikation. Jetzt erzählt er eine Geschichte aus dem vergangenen Sommer, es ist eine Geschichte von Liebe, Sorge und unerbittlicher Fürsorge. 

Helmut Kohls junge Frau hatte in der Zeitung ein Interview mit ihrem alten Bekannten Dirk Metz gefunden und es ihrem Mann vorgelesen. Nun wollte Kohl diesen Metz kennenlernen. „Es war natürlich ulkig, weil ich Kohl oft mit Roland Koch gesehen hatte, er wusste ja eigentlich, wer ich bin, er hat mich auch sofort erkannt“, sagt Metz. Er erzählt, wie sie im Sommer im Garten in Oggersheim saßen, er erinnert sich an die Begrüßung: „Kohl wollte mir seine linke Hand geben, und da sagt Maike: Helmut, gib dem Dirk Metz die rechte, daraufhin hat er mir die rechte Hand gegeben, was nach seinem Unfall wirklich anstrengend für ihn war.“ Metz ist überrascht und berührt in diesem Moment, das passiert ihm wahrscheinlich nicht so oft. „Da ist mir klar geworden, welche Bedeutung Maike für ihn hat.“ Um ihren Mann pflegen zu können, hat sie sich als Referatsleiterin im Wirtschaftsministerium beurlauben lassen, seit vier Jahren schon. 

Sie hat den Hofstaat weggeschickt, Einflüsterer und Ausflüsterer, Vorzimmerdamen, Hinterzimmerherren, Redenschreiber und Ghostwriter. Die Wichtigtuer und die Wichtigen. Auch die für ihn Wichtigen? 

Am 5. Juli 2011 kommen Walter und Peter Kohl, die Söhne des Altkanzlers, vom Grab ihrer Mutter Hannelore – Helmut Kohls erster Frau, die sich zehn Jahre zuvor das Leben genommen hatte. Es ist ein Tag, an dem die Söhne an die alte Familie denken, sie hören, dass der Vater an diesem Jahrestag nicht am Grab der Mutter war. So beschließen sie, vom Friedhof in Ludwigshafen zum Haus des Vaters zu fahren, sie wollen ihn bitten, noch einmal gemeinsam ans Grab zu gehen. Als sie in der Marbacher Straße in Oggersheim ankommen, stehen Polizeiwagen vor dem Haus, die üblichen Sicherheitsvorkehrungen für Helmut Kohl; und an diesem Tag wird alles noch sicherer gemacht. Ein Polizist nimmt Walter und Peter Kohl gleich beim Aussteigen aus dem Auto in Empfang. 

Als die Söhne an der Haustür klingeln und ihnen auch nach einiger Zeit und einigem Drängen und Klopfen niemand öffnet, fragen sie die Polizisten, ob ihr Vater zu Hause sei. „Das dürfen wir Ihnen nicht sagen, erklärte uns die Polizei“, erinnert sich Peter Kohl. Sie klopfen wieder an der Haustür und schließlich bedeutet ihnen die Polizei, sie sollten verschwinden. „Sonst werde ein Platzverweis ausgesprochen“, erinnert sich Walter Kohl. „Die Polizei begründete diese Maßnahme mit einer Weisung des Berliner Büros meines Vaters.“ Verstört fahren die Söhne davon. „Der Vater wird wie ein Gefangener gehalten“, sagt einer der beiden noch. Dann liegt der Ort ihrer Kindheit hinter ihnen. 

Wenn man in Siegen von der Autobahn abbiegt, um sich auf den Weg zu Maike Richters Elternhaus zu machen, folgt man einer gewundenen Straße durch blühende Landschaften in Richtung Oberheuslingen. Birken und Obstbäume stehen hinter den Leitplanken. In der Siedlung am Wald, dort, wo das große weiße Haus steht, das Maike Richters Eltern mittlerweile verkauft haben, ist Deutschland so, wie Helmut Kohl sich dieses Land wohl einmal vorgestellt hat. Schön, überschaubar und gar nicht unmodern, Kinder spielen auf der Straße. Der Gesangsverein in Oberheuslingen heißt MGV Eintracht. So sollte es sein. 

Im Jahr 2005, beim 75. Geburtstag ihres Vaters, haben Walter und Peter Kohl noch mit Maike Richter gemeinsam in einem Saal in Berlin gesessen und gefeiert. Aber das war bald vorbei. Im Frühjahr 2008 erfuhren die Söhne durch ein Telegramm, dass ihr Vater wieder heiratet. So waren auch sie aussortiert. „Es war spürbar, dass mein Vater seine Zukunft mit Maike sah, selbst wenn er dafür vielleicht sogar das Ende unserer Beziehung in Kauf nahm“, hat Walter Kohl später geschrieben.  Vielleicht wollte sie auch nur Ruhe vor allen, die ihren Mann belagern, endlich Ruhe. Auch vor den Söhnen, die groß sind und einschüchternd wirken können. Zumal für eine Frau, die weiß, dass sie sich in etwas reindrängen musste, wenn sie ihn, den Altkanzler, für sich gewinnen wollte. 

Als Maike Richter mit Helmut Kohl und dem damals noch großen Gefolge im Winter 2004 nach Sri Lanka reist, fällt Hotelbediensteten gleich etwas auf: Die junge Frau, die mit ihrem Mann eine Suite bezieht, hat die Hotelleitung gebeten, die Privatsphäre des Paars zu schützen. Auch vor den Mitreisenden. Vor Leuten wie Ecki Seeber, dem langjährigen Fahrer von Kohl. Doch was heißt hier Fahrer? Seeber war für Kohl ein Mann für alles, ein Vertrauter. Einer, mit dem sich die junge Frau darüber streiten musste, wer dem Altkanzler das Hemd rauslegt, und welches passend erscheint. Auch da kannte Seeber sich aus. 

Maike Richter musste begreifen, dass sie mit einem Mann wie Kohl nie allein im Auto sitzen würde, wenn sie nicht etwas ändern würde. Als sie es schließlich geschafft hat, Ecki Seeber loszuwerden, ist erstaunlich, was danach passiert: Seeber schweigt. Er ist tief verletzt, aber er schweigt. Wenn man heute Seebers Frau in Ludwigshafen ans Telefon bekommt, bittet sie, das alles ruhen zu lassen. Zu viel ist passiert. 

Im Februar 2008, als Helmut Kohl in seinem Haus schwer stürzt und eine Gehirnquetschung erleidet, da unterrichtet Maike Richter die Söhne Walter und Peter erst Stunden später über das, was passiert ist. Als deren Vater schon mehr tot als lebendig in der Klinik liegt. So erinnern sich die Söhne an den Tag des Unglücks. Hätten sie, die damals, vor der zweiten Heirat ihres Vaters, noch dessen nächste Angehörige waren, nicht früher unterrichtet werden müssen? Und wäre es vielleicht besser gewesen, wenn man Kohl nicht nach Heidelberg, sondern in die näher gelegene Oggersheimer Unfallklinik gebracht hätte? Das glauben die Söhne. 

Auf jeden Fall war nach diesem Tag nichts mehr wie zuvor. „Die Leute denken immer noch an den kräftigen Helmut Kohl vor zwanzig, dreißig Jahren“, sagt Dirk Metz, der alte Freund von Maike Kohl-Richter. Er blickt einen Moment still auf den Schreibtisch in seinem Frankfurter Büro, lässt sein Handy klingeln und redet dann von den Zumutungen, denen Maike Kohl-Richter ausgesetzt ist. Wenn sie sich mal raus wagt. „Sie hat mir zwei Geschichten erzählt: Als sie im Speyrer Dom waren, und Helmut Kohl im Rollstuhl saß, wollte jemand ein Buch von ihm signiert haben. Sie sagte: Bitte nicht jetzt. Und der Mann, der das Autogramm haben wollte, zischte nur: Das hat er immer gemacht, bevor Sie da waren.“  Die zweite Szene spielt in Kohls altem Lieblingsrestaurant, im Deidesheimer Hof in der Pfalz. „Jemand hält Kohl ein Handy ans Ohr und sagt: Begrüßen Sie mal unseren Kreisvorsitzenden von der CDU. Maike, die um die Sprache ihres Mannes weiß, sagt nur: Bitte, das geht nicht.“ Wieder wird sie angegiftet. 

„Könnte sie nicht einfach freundlicher sein zu den Leuten, die meinen Vater schätzen?“, fragt Walter Kohl, als er das hört.  „Muss sie ihn nicht vor solchen Situationen bewahren?“, fragt Dirk Metz.  Vor all denen schützen, die glauben, immer noch Anspruch auf ihn zu haben? Aber wo endet der Schutz, wo beginnt die Kontrolle, Herrschaft? „Ohne die gäb’ es mich nicht mehr“, hat Helmut Kohl zu Metz gesagt, im Garten in Oggersheim. Es ist schwer, sich einen einst so mächtigen Mann, auch körperlich enorm kräftigen Mann, als Pflegefall vorzustellen. Vielleicht liegt darin die ganze Tragik, auch ihre. Wie lebt man damit, wenn derjenige, der immer stark war, jetzt schwach ist? Und auch von anderen so gesehen werden kann? 

Der Fotograf Konrad R. Müller, ein Mann, der alle Kanzler dieser Republik fotografierte, ist immer noch fassungslos, wenn er von Helmut Kohls junger Frau erzählt. Müller, der weiß, wie man Menschen in Szene setzt, war vor einiger Zeit in Oggersheim, um Helmut Kohl zu fotografieren. Er machte Aufnahmen, die Kohl im Rollstuhl zeigen. In Würde. Aber ihren Mann im Rollstuhl, das war genau das, was Maike Kohl-Richter nicht in den Zeitungen sehen wollte. Das hatte sie Müller auch gesagt. Der aber wollte sich nicht alles vorschreiben lassen in seiner Kunst.  „Ich weiß noch, wie Helmut Kohl sich gefreut hat, als ich bei ihm zu Hause ankam“, erinnert sich Konrad R. Müller an das Treffen in Oggersheim. „Wir sahen uns zum ersten Mal nach zehn Jahren wieder. Und er sagte zu mir: Mensch Konrad, du wirst ja immer jünger.“ Nein, dass er Kohl störte, den Eindruck hatte der Fotograf nicht. Es wurde dennoch ein eher kurzer Besuch. 

„Maike hat sich sehr darüber aufgeregt, über die Unfairness, dass Müller solche Bilder drucken ließ und die Chuzpe besaß, sich damit zu brüsten, dass sie so ein Bild nicht wollte“, erinnert sich Dirk Metz. 

Bald darauf bekam Müller, der Kohl seit Jahrzehnten kennt, einen Brief des Altkanzlers. Der letzte Satz darin heißt: „Wir haben uns nichts mehr zu sagen.“  Ob Helmut Kohl noch in der Lage ist, solche Briefe zu schreiben? Manche, die ihn jetzt noch gut kennen, bezweifeln das. Müller jedenfalls hat nie wieder über die Mauer sehen dürfen. 

Ansprüche können groß sein, vermessen oder auch berechtigt. Doch wie sie beurteilt werden, das entscheidet heute allein sie, seine Frau. Und es sind ja nicht immer nur Fotografen oder Journalisten, die etwas von Helmut Kohl wollen. Manchmal sind es auch seine Kinder. Vielleicht wollen sie ihm auch etwas geben. Walter Kohl, der Sohn, hat es in seinem Buch so beschrieben. „Einmal hatten wir eine heftige Auseinandersetzung, und ich fragte sie, warum es so schwierig sei, schon einfache Besuche zu organisieren. Sie gab mir ganz unverblümt zu verstehen, dass sie meinen Vater am liebsten für sich ganz allein haben wollte.“ Hat sie Angst vor den Söhnen, der Familie, zu der sie nicht gehörte? 

Dirk Metz kennt die andere Seite. „Sie hat immer gesagt, dass sie gern ein besseres Verhältnis zu den Söhnen hätte. Aber ob es da eine Chance gibt? Ich weiß es nicht.“ 

Selbst mancher, der ihr gewogen ist, hat längst erkannt, dass da etwas gewaltig schiefläuft. „Ja, sie hat etwas Tragisches an sich, sie ist nicht bösartig, zerstörerisch oder intrigant, sie hat sich einfach verrannt in die Idee, ich will diesen Mann heiraten, und dann will sie das alles auf eine ganz schmalspurige Zweierbeziehung bringen.“ Wer nicht für sie ist, ist gegen sie. Das haben viele erlebt. Und nicht jeder, der darüber taktvoll spricht, möchte das mit seinem Namen tun. Einer sagt: „Sie merkt ja, wie unbeliebt sie sich damit macht, und darunter leidet sie wirklich. Aber sie hat eben mit Gott und der Welt Krieg angefangen für ihre Idee von Helmut Kohl, einem Helmut Kohl, der nur ihrer ist.“ 

Die Idee ist Wirklichkeit geworden, und gefangen sind jetzt beide.  „Ich würde ihr zu großer Zurückhaltung in der Öffentlichkeit raten“, sagt Dirk Metz. „Sie sollte nicht in eine Talkshow gehen und sich darüber beklagen, wie schwer es auch sein kann.“ Das Leben mit einem Mann, der nicht mehr der Helmut Kohl ist, der er einmal war. 

Wenn man ihr in diesen Tagen einen Brief nach Oggersheim schreibt, sie fragt, ob sie nicht einmal darüber reden möchte, wie es ist, dieses Leben zu führen, für einen und gegen alle, bekommt man einen freundlich abwehrenden Antwortbrief von einer Sekretärin aus Berlin. Nein, Frau Dr. Kohl-Richter habe sich grundsätzlich entschieden, zum gegenwärtigen Zeitpunkt nicht selbst in der Presse auftreten zu wollen. Der Absender steht hinten auf dem Kuvert ihres Schreibens. Er lautet: „Dr. Helmut Kohl. Bundeskanzler a. D.“