Er hat für die Leser das Gesicht einer Region mitgeprägt
Von Kurt Kister
Seinen ersten Theodor-Wolff-Preis erhielt Rudolph Chimelli, als man noch den Krieg zwischen Irak und Iran meinte, wenn man vom "Golfkrieg" sprach. Im Mai 1986 hatte das Kuratorium für die Vergabe des Wolff-Preises den Korrespondenten der Süddeutschen Zeitung für eine Reportage geehrt, die Chimelli im August 1985 geschrieben hatte. Die Ortsmarke hieß "Howeisah-Sümpfe", und solche leicht exotischen, leicht gruseligen Ortsmarken waren lange ein Charakteristikum vieler Geschichten, die Chimelli für die SZ schrieb. In den Howeisah-Sümpfen war Chimelli gewesen, weil sich dort Iraker und Iraner in nahezu archaischer Art beschlichen, sich aber dann mit modernsten Waffen bekämpften.
Aber Chimelli war nie einer jener Kriegsreporter aus Neigung. Er besuchte nur, halb aus Pflichtgefühl, halb aus Interesse, auch häufiger jene Schauplätze, an denen das Versagen von Politik am augenscheinlichsten wurde - er reiste also fast zwangsläufig auch dahin, wo Menschen Krieg führten.
Als geborener Münchner des Jahrgangs 1928 lernte Chimelli schon als Jugendlicher kennen, was Krieg bedeutet. Er gehört jener Trümmer- und Aufbau-Generation an, die ihre Zukunft in einem gänzlich anderen Leben suchten als ihre Eltern. Für Chimelli war das der Journalismus. Er volontierte beim Freisinger Tagblatt und besuchte 1956 den Jahreskurs des Werner-Friedmann-Instituts in München, das heute Deutsche Journalistenschule heißt. Von 1957 an arbeitete er für die Süddeutsche Zeitung in der Nachrichtenredaktion.
1964 begann für den damals 36-Jährigen das Korrespondentenleben, dem er nahezu bis heute, bis zum Jahre 2014, treu geblieben ist. Über Beirut (bis 1972) führte sein Weg nach Moskau (bis 1979) und dann nach Paris (bis 2014), von wo aus Chimelli nicht nur über Frankreich und die frankophonen Länder schrieb, sondern auch und vor allem die gesamte muslimische Welt zwischen dem Maghreb, der Rub al Khali Saudi-Arabiens und den iranischen Hochwüsten "coverte".
Chimelli ist einer jener wenigen Auslandskorrespondenten, die für ihre Leserschaft über Jahrzehnte hinweg das Bild einer Region, eines Kulturkreises vielleicht nicht bestimmt, aber dennoch mitgeprägt haben. Bis in die neunziger Jahre hinein schien die Welt weniger für jeden verfügbar zu sein, als sie das heute ist. Heute kann man jederzeit auf YouTube, per Twitter, SMS oder Facebook mit Menschen in den entlegensten Teilen der Welt kommunizieren. Die Digitaltechnologie und das Netz haben Verbindungen geschaffen, die es vorher nicht gab. Sie tragen aber auch zu jenem gewaltigen Rauschen bei, das es so schwierig macht, die Überfülle der Informationen zu ordnen, zu bewerten und aufzubereiten.
Korrespondenten wie Rudolph Chimelli haben über Jahrzehnte hinweg genau das geleistet: Sie haben geordnet, bewertet, erklärt, aufbereitet. Und sie haben selbst gesehen, mit Machthabern und von der Macht Bedrückten geredet, sie haben ihre Erkenntnisse mit Erfahrungen verglichen, die sie anderswo zu anderer Zeit gemacht haben. Sie haben analysiert, oft nüchtern und kühl. Manchmal waren auch sie von Not und Elend berührt, gehörten aber dennoch zumeist jener Denkschule an, die Hajo Friedrichs jenen, zu oft zitierten Satz sprechen ließ, dass sich ein guter Journalist mit nichts gemein mache, nicht einmal mit einer guten Sache.
Doch, Rudolph Chimelli hat sich immer mit Einem gemein gemacht: mit dem Leser. Er sollte von alledem profitieren, was Chimelli sah, erlebte, verglich und ordnete. Weil Chimelli Pathos fremd ist, fasste er seine Berufung so zusammen: "Ich hatte das unverschämte Glück, mich beruflich mit den Themen beschäftigen zu können, die mich faszinieren und dafür auch noch bezahlt zu werden." Das ist zwar Understatement, aber angenehm, weil der Hang zu Understatement im Journalismus nicht übermäßig verbreitet ist.
Es gibt niemanden, der so konstant, so lange und von so vielen verschiedenen Plätzen aus für die SZ, ja für irgendeine deutsche Tageszeitung überhaupt, geschrieben hat wie Rudolph Chimelli. Er ist ein Augenzeuge der Veränderungen in der zweiten Hälfte des 20. und zu Beginn des 21. Jahrhunderts. Er hat diese Zeit der Ideologien und der gewaltigen Umbrüche miterlebt, beschrieben und erklärt. Er tut dies bis heute.
Respekt. Das ist wahrlich eine Lebensleistung eines Journalisten, die einen Preis verdient.