Der Terror und ich
Von Yassin Musharbash
Der 11. September 2001 veränderte das Leben unseres Autors: Der Terrorismus wurde sein Thema. Vor Kurzem traf er einen Weggefährten von Osama bin Laden - danach sah er manches anders.
Ich ziehe das Uneindeutige dem Eindeutigen vor; ich halte es für näher an der Wirklichkeit. Als Journalist ist das manchmal schwierig, denn das Uneindeutige wohnt in sperrigen Wörtern: mutmaßlich, vermutlich, angeblich ... Ich habe schon einige Produktionsabende damit verbracht, diese Wörter gegen Redakteure zu verteidigen. Schöner werden die Texte so nicht. Die Hoffnung ist, dass sie wahrer bleiben. Ich finde, es kommt selten genug vor, dass man etwas weiß.
Das letzte Mal, dass ich etwas zu wissen glaubte, war im November 2013. Ich stand auf einem winzigen Balkon in der ägyptischen Mittelmeermetropole Alexandria, schaute durch eine Häuserschlucht aufs Meer und rauchte eine Zigarette. In dem Wohnzimmer, das ich gerade verlassen hatte, saßen zwei Menschen, mit denen ich im Laufe von zwei Tagen 14 Stunden verbracht hatte, um sie gemeinsam zu interviewen. Was ich in dem Moment dachte, das war: Ich habe eine Geschichte gefunden! Ich würde erzählen, wie Leah Farrall, eine ehemalige Terrorfahnderin der Australian Federal Police, und Mustafa Hamid, ein ehemaliger Taliban-Berater, die Jahre vor und nach 9/11 erlebten, vor einigen Jahren über ihre Blogs in Kontakt traten und nach und nach genug Vertrauen zueinander fassten, um über zwei Jahre hinweg hier in Alexandria gemeinsam ein Buch zu schreiben (The Arabs at War in Afghanistan wird diesen Sommer erscheinen).
Vermutlich führt fast jeder Beruf zu der einen oder anderen déformation professionelle . Als Journalist sucht man das Wahre und Wirkliche oft reflexhaft im Detail. Wann haben Sie davon erfahren? Was ging Ihnen in diesem Moment durch den Kopf? Haben Sie beim Kaffeetrinken davon erfahren? Übers Radio, aus dem Fernsehen, und wenn ja: welcher Sender? Oder war es vielleicht ein Anruf? Was hatten Sie an, was haben Sie danach als Erstes getan? Und wie war das Wetter?
Ich zum Beispiel lief an dem Tag, an dem auf gewisse Weise alles begann, an einem Café in einer griechischen Kleinstadt auf dem Peloponnes vorbei, als ich im Augenwinkel wahrnahm, dass etwas nicht stimmte. Dass nämlich alle Gäste wie gebannt auf zwei an Masten aufgehängte Fernseher starrten, dabei aber ganz still waren. Ich stellte mich vor einen der Fernseher. Dann stürzte der zweite Turm ein.
Es ist natürlich unerheblich, wie ich den 11. September 2001 erlebt habe. Aber von jenem Tag an habe ich als Journalist vor allem über Terrorismus geschrieben. Ich war damals Arabistik-Student, ich hatte vorher schon zum Thema Islamismus gearbeitet, auch für Zeitungen darüber geschrieben. Aber an jenem Tag fand mich das Thema Terrorismus, und es hat mich nicht mehr losgelassen.
Ich musste auf diesem Balkon in Alexandria auch an den Moment in Griechenland denken, zwölf Jahre zuvor. Warum? Vielleicht weil es immer irritierend ist, einen Exgefährten von Osama bin Laden zu treffen. Denn anders als in meinem Fall ist es natürlich hochinteressant, wie Mustafa Hamid den 11. September 2001 erlebt hat. Mustafa Hamid, der nur durch einen Vorhang von mir getrennt in dem besagten Wohnzimmer saß, hatte jenen Tag in der afghanischen Stadt Kandahar verbracht, wo Süßigkeiten verteilt und Lämmer gebraten wurden, nachdem die Nachrichten von dem Inferno in New York und Washington eingetroffen waren. Andere mochten die Anschläge feiern, Mustafa Hamid aber war wütend: Erst drei Wochen zuvor, Mitte August 2001, hatte er seinen alten Bekannten Osama bin Laden wiedergetroffen. Bei der Gelegenheit hatte Bin Laden angedeutet, dass er einen »großen Schlag« plane, der Tausende Menschen das Leben kosten werde. Mustafa Hamid forderte Bin Laden auf, alles abzublasen. »Ich ahnte, was das für Afghanistan bedeuten würde«, sagte er mir. Es kam zu einem heftigen Schlagabtausch zwischen Hamid und Bin Laden. Es sollte ihre letzte Begegnung sein.
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Nachdem ich aus Alexandria nach Berlin zurückgekehrt war, bat ich Mustafa Hamid, mir noch ausführlicher zu beschreiben, wie diese Begegnung abgelaufen war. Ich wollte Details: Wie war das Wetter gewesen? Wo genau hatten sie sich getroffen? Was hatte Bin Laden getragen? Hatte er gelächelt, als er seinen Plan offenbarte?
Mustafa Hamid schickte mir zwei Seiten auf Arabisch. Aber als die E-Mail bei mir ankam, hatte ich bereits zu ahnen begonnen, dass die wahre Geschichte eine andere ist, als ich auf dem Balkon in Alexandria noch gedacht hatte.
Ich will nicht pathetisch sein, aber: Wenn ein Ex-Taliban-Berater und eine Ex-Terrorfahnderin miteinander lachen können, wieso nicht wir alle?
Details sind normalerweise eine harte Währung im Journalismus. Ich habe einmal eine Geschichte über einen deutschen Konvertiten geschrieben, der sich einer militanten Gruppe in Pakistan angeschlossen hatte. Am Tag vor der Abreise aus Deutschland hatte er seine Katze noch zum Tierarzt gebracht. Tolles Detail! – Nur dass es leider nichts verriet und nichts erklärte. Was, bitte sehr, sollte man aus dieser Tatsache schließen? Und was hätte es in diesem Fall für einen Unterschied gemacht, zu wissen, ob Osama bin Laden leise oder laut gesprochen hat, als er Mustafa Hamid von seinem Plan erzählte? Und ob er dabei ein weißes oder ein braunes Gewand trug?
Wichtig ist doch wohl die Wut, die Mustafa Hamid damals empfunden hat. Und wichtig ist, dass er zwölf Jahre später mit Leah Farrall ein Buch geschrieben hat. Wichtig ist die Frage, ob sich daraus etwas lernen lässt. Ich will nicht pathetisch sein, aber: Wenn ein Ex-Taliban-Berater und eine Ex- Terrorfahnderin miteinander lachen können, wieso nicht wir alle?
Fragt man die beiden nach ihrem common ground, sagen sie: Es ging uns darum, die historischen Fakten sauber darzustellen. Hamid als Augenzeuge; Farrall als Akademikerin, die alles über die Rolle der arabischen Freiwilligen in Afghanistan seit 1979 und die Gründung Al-Kaidas gelesen hat.
Aber da muss mehr gewesen sein als ein akademisches Interesse. Wir reden hier über Abgründe! Es gibt Sätze, die schneiden ins Fleisch, und in Alexandria sagt Mustafa Hamid einen solchen Satz. Am Anfang ihres Dialogs, erzählt er, sei er absichtsvoll unfreundlich zu Leah Farrall gewesen: »Ich dachte, das ist so eine wie die in Abu Ghraib.« Die in Abu Ghraib: folternde Soldaten, die auf Bergen nackter irakischer Gefangener sitzen. Das ist das Bild, das Mustafa Hamid in den Sinn kam, wenn er an die Australian Federal Police dachte; auch wenn gar keine Australier in Abu Ghraib waren. »Aber dann habe ich gemerkt, dass sie es ernst meinte, ehrliche Fragen stellte – und ehrliche Antworten gab, wenn ich sie etwas fragte.«
Und Leah Farrall? Irgendwann 2003 saß sie mit Uni-Kollegen beim Feierabend-Drink, und sie räsonierten, wen »aus der Welt der Mudschahedin« sie am liebsten treffen würden. Leah Farrall nannte Mustafa Hamid – das war sechs Jahre bevor sie miteinander Kontakt aufnahmen. Warum gerade er? »Er stand oben auf meiner Liste, seit ich auf zwei Geschichten aus seinen Büchern gestoßen war: In der einen berichtet er, wie er vergessen hatte, seinen Kindern nach einer Reise Süßigkeiten mitzubringen, und sich würde rechtfertigen müssen. In der zweiten erinnert er sich, wie er die Leiche eines sowjetischen Soldaten sieht und traurig wird, obwohl es sein Feind war.« Als sie ihn später persönlich traf, sprach sie ihn instinktiv mit »Mustafa« an, nicht mit seinem Kampfnamen »Abu Walid«. »Das hat mich an meine Menschlichkeit erinnert«, sagt er.
Ein Mensch aus dem Umfeld Al-Kaidas, ein zweiter aus dem Umfeld der Sicherheitsbehörden: Die US- Fernsehserie Homeland, in der eine CIA-Agentin und ein US-Marine, der von Al-Kaida umgedreht wurde (oder auch nicht), die Hauptcharaktere sind, wird oft dafür gelobt, dass sie angeblich die Grautöne im »Great War on Terror« auslotet. In Wahrheit stimmt das gar nicht. Natürlich ist Homeland anspruchsvoll, alles ist ein Spiel mit den Erwartungen der Zuschauer, nie soll man sicher sein, wer auf welcher Seite steht. Aber es gibt Seiten. Es gibt Schwarz und Weiß, und die Frage ist bloß: Wer ist, hinter aller Fassade, gut – und wer ist, hinter seiner letzten Maske, böse? Daraus bezieht Homeland seine Spannung.
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Manchmal frage ich mich, ob wir uns noch an das Leben erinnern können, wie es vor dem 11. September 2001 war
Grautöne bedeuten aber nicht, dass man zu wenig weiß. Sondern dass es Widersprüche gibt, die sich nicht auflösen lassen. Dass ein Rest Ratlosigkeit bleibt. Sagt es nicht viel mehr über die Wirklichkeit aus, dass Mustafa Hamid geltend macht, er habe sich stets den Taliban zugehörig gefühlt, nie aber den Terroristen von Al-Kaida? Und dass Leah Farrall sagt, sie sei froh, dass sie bei der Polizei, aber nie beim Geheimdienst war, »weil ich da nie lügen musste und nicht Teil eines Apparates war, der in Aktivitäten verstrickt war, die heute vielfach als abstoßend gesehen werden und stark davon bestimmt waren, dass die Welt in Schwarz und Weiß und für uns oder gegen uns eingeteilt wurde«? Das sind Grauzonen.
Als im Januar 2011 in Ägypten Millionen auf die Straße gingen und gegen das Mubarak-Regime revoltierten, war ich zwei Wochen lang dabei. Eines Morgens sprach ich mit einem jungen Revolutionär, der seit Tagen die Arbeit schwänzte, um auf dem Tahrir-Platz in Kairo im Protestlager zu leben. Er war übermüdet und konnte nur noch krächzen, aber er war euphorisch. Ein Satz hat mich besonders berührt: »Irgendwann wird es wieder cool sein, ein Araber zu sein!« Darin schwang so viel Verletztheit mit. Verletztheit darüber, per Herkunft einer Sphäre zugeordnet zu sein: Als Araber und Muslim hatte dieser junge Revolutionär von Jugend an nichts anderes erlebt, als dass er außerhalb Ägyptens als personifizierte Gefahr gilt.
Manchmal frage ich mich, ob wir uns noch an das Leben erinnern können, wie es vor dem 11. September 2001 war, und daran, wie wir die Welt und einander gesehen haben. Dieses Wir ist in diesem Fall ein nahezu globales, es umfasst (mindestens) fast alle Menschen, die sich der muslimischen Welt, und fast alle, die sich der westlichen Welt zurechnen. Und jene, die sich beiden Welten zugehörig fühlen. Das sind, alles zusammen, sehr viele Menschen.
Ich glaube, dass wir alle vorher mehr Grautöne akzeptiert haben. Ich glaube, dass 9/11 der Tag war, an dem das Graue starb. An dem wir uns, eher unwissentlich und kaum spürbar und manche eifriger als andere, zum Teil als Individuen, zum Teil als Staaten oder Gesellschaften, plötzlich ausgerichtet haben wie Eisenspäne unter dem Einfluss eines Magnetfeldes.
Wenn aber ein einzelner Tag solch eine Macht hat, dann will ich ihn verstehen. Und zwar nicht als Symbol oder als Mahnung, sondern in seiner konkreten, historischen Entstehung. Nicht als Tat, die ihre eigene Planungsgeschichte und ihre spezifischen Täter hat. Dafür gibt es den 9/11 Commission Report der US-Untersuchungskommission. Sondern als die Tat, die geschah – im Gegensatz zu den Taten, die nicht geschahen.
Ich habe Leah Farrall in Alexandria gefragt, was für sie die wichtigste Erkenntnis aus den über tausend Stunden Gespräch mit Mustafa Hamid war. Ihre Antwort: »Die Rolle, die der Zufall gespielt hat.« Zufall? Zufall ist für gewöhnlich keine Kategorie, die Terrorexperten ins Feld führen, wenn sie über Al-Kaida, Osama bin Laden und den 11. September 2001 reden.
Es ist verführerisch, Geschichte im Nachhinein als zwangsläufigen Ablauf einer Kette von Ereignissen zu deuten. Diese Kette geht so: 1996 erklärt Osama bin Laden den USA den Krieg. Am 7. August 1998 explodieren an den US-Botschaften in Kenia und Tansania riesige Sprengsätze, es gibt über 200 Tote. Am 12. Oktober 2000 sterben 17 US-Soldaten, als Al-Kaida-Kader im Jemen das Kriegsschiff USS Cole im Hafen von Aden attackieren. Was soll 9/11 anderes gewesen sein als der nächste logische Schritt?
Das stimmt. Aber es stimmt zugleich nicht. Denn es stimmt nur, weil alle drei Ereignisse bereits die Folge einer Dynamik innerhalb der Szene der arabischen Dschihadisten in Afghanistan waren, die eben nicht zwangsläufig war. Tatsächlich war ganz simpel Folgendes geschehen: Osama bin Laden hatte sich durchgesetzt, obwohl viele in der Al-Kaida-Spitze gegen den 9/11-Plan waren und selbst der Gedanke, die USA direkt anzugreifen, innerhalb Al-Kaidas umstritten war. Zu den Planern der Anschläge gehörten andererseits einige Männer, die überhaupt nur widerwillig Al-Kaida-Mitglied geworden waren – wie zum Beispiel das »Mastermind« Khaled Scheich Mohammed, der in Guantánamo festsitzt.
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Im Sommer 2009 erhielt ich eine merkwürdige E-Mail. Ich habe eine Nachricht für Sie, stand darin, darunter ein Link zu einer Internetseite, auf der man Dokumente hinterlegen kann. Der Link führte zu einem Anschreiben, in dem eine Gruppe deutscher Dschihadisten, die in die pakistanische Unruheprovinz Wasiristan ausgewandert war und sich der Terrorgruppe Islamische Dschihad-Union angeschlossen hatte, mir anbot, sie zu interviewen. Ich informierte meine Chefs (ich war damals noch nicht bei der ZEIT, sondern bei Spiegel Online). Wenig später klingelte mein Handy, eine pakistanische Nummer – es war der inoffizielle Sprecher dieser Splittergruppe, ein Deutschtürke. Ich solle nach Quetta in Pakistan fliegen, dort werde man mich abholen, ich könne Fotos machen, Interviews mit deutschen Kämpfern führen, alles kein Problem. In der Redaktion waren wir uns schnell einig: Wir würden mit Terroristen keine Interviews führen; und es wäre viel zu gefährlich, sich auf deren Wort zu verlassen und nach Quetta zu reisen. Wir entschieden uns stattdessen, einen Fragenkatalog nach Pakistan zu senden. Wenn die Antworten mehr als Propaganda enthalten würden, könne man ja immer noch überlegen. Ich schickte den Fragenkatalog per E-Mail. Kurz darauf erfuhr ich, dass die Amerikaner dem Kanzleramt meine Korrespondenz mit den Dschihadisten vorgelegt hatten.
Die Amerikaner? Es geht auch spezifischer: ganz offensichtlich – die NSA. Es war ein Scheißgefühl, ehrlich. Ich erinnere mich, wie ich meine Frau ins Badezimmer gestikulierte, den Wasserhahn aufdrehte, wie in einem schlechten Film, und ihr wispernd erzählte, wir müssten damit rechnen, dass die NSA unsere Kommunikation überwacht.
»Selbst wenn es nur eine einprozentige Wahrscheinlichkeit gibt, dass das Unvorstellbare passiert, geh vor, als ob es eine Gewissheit wäre«: Mit diesen Worten umschrieb 2006 der US-Journalist und Pulitzerpreisträger Ron Suskind die sogenannte One Percent Doctrine, auch bekannt als »Cheney- Doktrin«. Denn Dick Cheney, Vizepräsident unter George W. Bush, war der Urheber dieser Handlungsanweisung. Im November 2001, nur Wochen nach 9/11, soll sie bei einem Meeting im Weißen Haus so oder so ähnlich formuliert worden sein.
Der Irakkrieg, Guantánamo, Waterboarding, Geheimgefängnisse auf der ganzen Welt – all das wirkt, durch die Linse der Cheney-Doktrin betrachtet, nahezu gespenstisch zwangsläufig. Auch den Datenhunger der NSA erklärt die One Percent Doctrine am besten. Man muss Dick Cheney nicht gleich mit Khaled Scheich Mohammed vergleichen, aber: Haben sich nicht auch unter George W. Bush die Extremisten durchgesetzt? Sicher, Al-Kaida hat sich nie von 9/11 distanziert, während in den USA ein Prozess der demokratischen Aufarbeitung stattgefunden hat. Aber wie gesagt: Es geht nicht um einen Vergleich. Sondern darum, festzuhalten, dass wir hier nicht über Zwangsläufigkeiten reden.
Niemand weiß, wie die Welt aussähe, wenn 9/11 nie stattgefunden hätte. Aber was, wenn wir uns dazu zwängen, ab und an die Welt so zu betrachten, als ob – wissend, dass für 9/11 (und die Folgen) ein paar Handvoll und nicht Milliarden Menschen die Verantwortung tragen?
Ich habe keine Lust, irgendetwas schönzureden. Ich bin Halbjordanier, und ich sehne mich nach den Zeiten zurück, die ich als Kind in dem Land erlebt habe. Meine jordanische Familie ist Teil der christlichen Minderheit, und noch vor ein paar Jahren wäre es undenkbar gewesen, was meine Tante mir bei meinem letzten Besuch erzählt hat: dass der Konditor, der immer die Torten für unsere Familienfeste gebacken hat, sich neuerdings weigert, ein Kreuz auf den Kuchen zu malen.
Aber ich will genauso wenig verhehlen, dass ich nervös bin, wenn ich in die USA reise. Bis jetzt bin ich immer reingekommen. Beim letzten Mal jedoch nur, weil der Mann, der mich nach der Sicherheitskontrolle und vor dem Check-in interviewt hat, meinen Twitter-Account kannte und wusste, dass ich mich beruflich mit Terrorismus beschäftige und der jemenitische und der saudische Stempel im Pass mich nicht verdächtig machten.
Ich glaube, wir sind alle Gefangene – in einer Art Guantánamo des Geistes. Ich will da aber nicht gefangen sein. Ich will auch weiterhin mit Menschen wie Mustafa Hamid sprechen, die von den USA als Terroristen gelistet sein mögen, ohne dass ich mir dieses Urteil sofort und in vollem Umfang zu eigen machen muss. Ich will auch in Zukunft mit Geheimdienstlern diskutieren, ohne jeden einzelnen gleich als willfährigen Folterknecht abzustempeln. Ich will meine eigenen Urteile treffen; und manchmal will ich auch keine treffen. Oder zugeben, dass ich keine treffen kann.
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Weil die Welt komplizierter ist. Weil fast alles grau und fast nichts schwarz oder weiß ist.
Eines Tages werden wir auf den »Great War on Terror« und seine Verwerfungen zurückblicken und feststellen, dass er nicht endete, als die Bundeswehr aus Afghanistan abzog, und schon gar nicht an dem Tag, an dem Barack Obama der Friedensnobelpreis verliehen wurde, und auch nicht an dem Tag, an dem Osama bin Laden getötet wurde. Es wird auch dann noch Terroristen geben, und sie werden weiterhin bekämpft werden müssen. Aber der »Great War on Terror« als Gedankengefängnis wird zu Ende gegangen sein, weil ausreichend viele Menschen wieder in der Lage waren, Grautöne zu akzeptieren.