Daniel Schulz
Kurzbiographie des Preisträgers in der Kategorie Meinung überregional
1979 in Potsdam geboren. Er berichtete in der taz über Rechtsextremismus, Terrorismus und Datenschutz und war im Wochenendressort für die Titelgeschichten zuständig. Von 2010 bis 2014 leitete er das Gesellschaftsressort taz2/medien. Heute führt er zusammen mit Sabine Seifert das Ressort für Reportage und Recherche. 2018 gewann er den Reporterpreis für den Essay „Wir waren wie Brüder“.
Im Interview
Wie entstand die Idee zu Ihrem Text?
Ich habe sie schon mehrere Jahre mit mir herumgetragen. In meinem Essay schreibe ich nichts, was neu wäre, mich hat nur jedes Jahr bei den Jubiläen zur Revolution geärgert, dass dieses vorhandene Wissen nicht mal zusammengeführt wird. Und ich wollte einen Text schreiben, der es anderen Menschen möglich macht, über die oft schambesetzten 90er Jahre zu sprechen. Recherchiert habe ich dafür in meinen alten Schulbüchern und -heften, ich habe mit Freundinnen und Freunden von damals gesprochen. Ich bin noch einmal an die Orte gefahren, über die ich schreibe, um mich besser zu erinnern, und ich habe verschiedene Publikationen noch einmal gelesen, unter anderem Studien der Amadeu-Antonio-Siftung, den Schlussbericht der Enquete-Kommission des Deutschen Bundestages zur Überwindung der SED-Diktatur von 1998, Veröffentlichungen über die Studie von Bernd Wagner und seinem Team über Rechtsextreme in der DDR.
Vor welchen Herausforderungen standen Sie?
Sich an die 90er Jahre zu erinnern, ist für viele Menschen meiner Generation schwierig. Das habe ich an den vielen Reaktionen auf meinen Text gemerkt. Damals haben viele mit Neonazis Ohnmachtserfahrungen gemacht, die sie später nur schwer in ihr heutiges, selbstbestimmtes Leben integrieren können. Für mich war diese Tour in die Vergangenheit ebenso schmerzhaft und ich hatte die ganze Zeit mit dem Reflex zu kämpfen, diesen Text einfach hinzuschmeißen. Erinnerungen sind zudem sehr trügerisch, ich habe, wo es ging, versucht, diese mit anderen Menschen abzugleichen, die dabei waren. Das war für mich auch oft nicht einfach, weil da Leute dabei waren, die mich beschützt haben, denen ich also etwas schulde – zugleich wollte ich die aber als Rechtsradikale beschreiben. Schwierig war für mich auch eine Balance zu finden: Ich wollte die Zwangslage vieler Jugendlicher damals beschreiben, in denen sie sich zwischen mehreren schlechten Optionen entscheiden konnten, ich wollte aber nicht meinen Opportunismus oder die Rechtsradikalisierung vieler Menschen in dieser Zeit entschuldigen. Wir hatten eine Wahl, auch wenn die Wahlmöglichkeiten oft nicht die besten waren.
Wie wurden Sie bei der Recherche unterstützt?
Von allen, die mit mir gesprochen haben. Von meiner Redakteurin Steffi Unsleber, die die außerordentliche Fähigkeit hat, zugleich hart in der Sache aber sehr zugewandt gegenüber ihren Autor*innen zu sein. Unterstützt haben mich auch Fatma Aydemir und Saskia Hödl, ebenfalls großartige Kolleginnen. Ihnen habe ich den Text gegeben, weil sie tolle Autorinnen sind aber auch, weil mir klar ist, dass meine Geschichte nicht des größten Opfers ist, ich wollte Empathie mit den Menschen in meinem Text haben, die es weit schlimmer erwischt hat als mich. Mir war wichtig, dass zwei nicht-weiße Kolleginnen den Text lesen, von denen ich wusste, dass sie mir hart aber freundlich sagen würden, wenn ich ein Entschuldigungsgejammer verfasst hätte.
Was macht für Sie persönlich guten Journalismus aus?
Gute Journalist*innen kämpfen um eine Balance zwischen Ambivalenz und Stringenz in ihren Beiträgen. Sie kennen den Unterschied zwischen einem eher religiösen Wert wie Objektivität und etwas tatsächlich erreichbarem wie intersubjektiver Überprüfbarkeit. Sie hinterfragen sich und ihr Handeln ab und an und üben Solidarität miteinander ohne dabei in einen Korpsgeist zu verfallen, wie wir ihn bei Polizei oder Militär manchmal kritisieren.
Was braucht ein herausragender Artikel?
Bevor ich ellenlang schwafle, würde ich mich gerne auf die alte Formel Wahrhaftigkeit plus Handwerk plus X zurückziehen.
Was erwarten Sie von der Preisverleihung am 26. Juni in Berlin?
Was ich von jeder guten Party erwarte: gutes Essen, interessante Leute und dass ich erst dann betrunken werde, wenn es alle anderen schon sind.