Gönn's Dir, Genosse
von Fabienne Hurst
Wenn linke Politiker sich Luxus leisten, ist der Aufschrei groß. Aber schlechtes Essen und billige Klamotten machen die Welt auch nicht gerechter.
Neulich wurde die Linken-Politikerin Sahra Wagenknecht interviewt. Der Journalist stellte allerlei Fragen, Wagenknecht gab allerlei Antworten, bei mir blieb aber vor allem der letzte Teil hängen. Da hält der Reporter der Politikerin vor, dass sich deren neues Linksbündnis ausgerechnet "im teuren Berliner Restaurant Paris-Moskau" getroffen habe. Ein unmissverständlicher Vorwurf, eine Kaviar-Linke zu sein, ganz so, als könnten Sozialisten sich nur an Würstchenbuden organisieren und nicht bei einer Portion Laugenknödel mit Pilzragout für 18,50 Euro.
Soll das heißen: Wer Sozialismus fordert und Geld hat, darf sein Geld nicht ausgeben? Und wenn ja: Was soll er stattdessen damit tun? Es sparen? Am Ende Zinsen dafür einheimsen? Alles spenden und wenn ja: an wen? Wer entscheidet das?
Die Kritik am Geldausgeben ist immer noch weitverbreitet. Sie hat sogar jederzeit das Zeug für einen Shitstorm im Netz. Der jüngste, genannt "Rolexgate", ist erst wenige Tage alt. Er kreist um die Frage, ob es okay sei, dass die Berliner SPD-Staatssekretärin Sawsan Chebli eine Rolex-Uhr trägt, angeblich 7300 Euro teuer. Auf Facebook bekam Chebli deswegen so viel Hass ab, dass sie ihren Account deaktiviert hat.
Im Allgemeinen setzt die Kritik am Prassen sich aus folgenden drei Überzeugungen zusammen. Erstens: Nicht alle Menschen haben das Recht, ihr Geld einfach so auszugeben, Sozialisten zum Beispiel. Zweitens: Geldausgeben ist nur okay, wenn es in Maßen geschieht, alles andere ist Verschwendung, Protzigkeit, Prahlerei. Drittens: Viel besser als Geldausgeben ist das Geldnichtausgeben, allgemein bekannt als Sparsamkeit, Bescheidenheit, Genügsamkeit – und all das sind gute, deutsche Tugenden.
Was für ein Quatsch!
Wenn Besserverdiener zu Hause essen, ist das nicht nur meistens ungemütlich, sondern vor allem ist es asozial und wirtschaftsfeindlich.
Natürlich kann man Frau Wagenknechts Widersprüchlichkeiten kritisieren – aber dann bitte ihre fragwürdige Haltung in der Asylpolitik, ihren linken Populismus, von mir aus auch ihre biedere Steckfrisur. Aber doch nicht, dass sie für gutes Essen anständige Preise bezahlt und damit Kellnern, Köchen, Gastronomen, Tellerwäschern ein faires Gehalt ermöglicht. Der Autor Peter Richter hat einmal geschrieben, essen zu gehen sei die beste Methode, möglichst viele Menschen an seinem Geld teilhaben zu lassen, und somit das perfekte Mittel zur Umverteilung. "Wenn Besserverdiener zu Hause essen, ist das nicht nur meistens ungemütlich", findet Richter, "sondern vor allem ist es asozial und wirtschaftsfeindlich."
Dass man gerade Menschen, die dem linken politischen Spektrum nahestehen, keinen Luxus gönnt, hat Tradition. Vor wenigen Jahren wurde der sozialistische Finanzminister Griechenlands, Yanis Varoufakis, dafür beschimpft, dass er einen Burberry-Schal (Ladenpreis: 400 Euro) trug. Genervt erklärte er dann, der Schal sei zwölf Jahre alt und ein Geschenk seiner Frau. Damals schrieb ein Kollege, diese Debatte sei scheinheilig und viel zu kurz gedacht: Luxus bedeute schließlich, "dass man der brutalen Notwendigkeit der Welt kurz entkommen und ihre Schönheit genießen kann". Ginge es, wenn der Minister diesen Schal nicht trüge, irgendjemandem besser? Und was wären die Alternativen? Günstige Schals, die nur eine Saison halten? Produziert von Kinderhänden? Aus verwebtem Plastik, das auch in 800 Jahren nicht verrottet?
Wäre eine Swatch okay für Sawsan Chebli? Wenn ja, welches Modell? (Und nebenbei: Wäre die Debatte weniger aggressiv verlaufen, wenn Chebli nicht eine junge, selbstbewusste Frau aus einer Migrantenfamilie wäre?)
Oder in Wagenknechts Fall: Sollte sie nur noch billig essen gehen? Selber kochen? Bei Discountern einkaufen, wo Mitarbeiter nicht nur schlecht bezahlt, sondern oft auch schlecht behandelt werden? Käfigeier statt Freiland? Darf es Senf zum Würstchen sein oder eher nicht?
Die linke Politikerin antwortete dem Zeitungsreporter mit verschnupfter Gelassenheit: "Diese Frage ist nun wirklich unterhalb Ihres Niveaus." Im Übrigen sollte es ihrer Meinung nach jeder Familie möglich sein, mindestens einmal im Monat in einem anständigen Restaurant essen zu gehen. Später schrieb irgendein Schlaumeier im Internet den Spruch "Sie predigt öffentlich Wasser und säuft heimlich Wein" unter das Interview. Ein schräger Vergleich. Vielmehr müsste es ja heißen: Sie trinkt Wein und predigt Wein für alle, beides öffentlich. Was soll daran schlecht sein?
Die Existenz des Marx besteht in Pendelschwingungen zwischen Champagner und Pfandhaus.
Im Sozialismus muss es auch Luxus geben, das hat schon sein einflussreichster Theoretiker vorgelebt. In seinem Geburtshaus in Trier kann man in einem ausgestellten Spitzelbericht über Karl Marx die Zeilen lesen: "Die Existenz des Marx besteht in Pendelschwingungen zwischen Champagner und Pfandhaus."
Ein Leben zwischen Hunger und Verschwendung ist ein Leben zwischen Extremen und gerade deshalb vielseitig, radikal und bewusstseinserweiternd. Wo wären wir denn heute, wenn es immer nur brave Sparer gegeben hätte? Wenn alle Denker, Dichter, Künstler, Intellektuellen stets verzichtet hätten, anstatt auch mal über die Stränge zu schlagen? Niemals hätte Hemingway A Moveable Feast schreiben können, diese wunderbare Liebeserklärung an gutes Essen, Wein und Whiskey. In der autobiografisch inspirierten Geschichte schlemmt sich ein Schriftsteller, sobald er ein paar Francs in der abgewetzten Hosentasche hat, durch Paris – und muss am nächsten Tag wieder darben.
Damit wir uns nicht missverstehen: Wer wenig Geld hat, weil er studiert, gerade nicht arbeiten kann, Hartz IV empfängt, einen Wasserschaden beheben lassen muss oder ein Haus baut, bei dem wird Sparsamkeit zur bitteren Notwendigkeit, und als solche muss sie auch unbedingt anerkannt werden – aber doch nicht als Ideal! Schon Immanuel Kant hat festgestellt: "Die Sparsamkeit ist keine Tugend, denn zum Sparen gehört weder Geschicklichkeit noch Talent", heißt es in seiner Vorlesung zur Moralphilosophie. "Wenn wir sie mit der Verschwendung gegeneinander halten, so gehört dazu, um ein Verschwender mit Geschmack zu sein, weit mehr Talent und Geschicke als zum Sparen. Denn Geld ablegen kann auch der Dümmste."
Kennen Sie besonders viele große historische Figuren (Heilige mal ausgenommen), die durch ihre Sparsamkeit berühmt geworden sind? Oder weil sie sich mit extrem wenig begnügt haben? Zufriedenheit ist das Ersatzglück der Genügsamen, und die haben selten die Welt verändert – außer vielleicht Jesus, und selbst dem war Wasser zu wenig, und er hat Wein draus gemacht.
Apropos Religion: Ich komme aus einer sehr protestantisch geprägten Familie, also wuchs ich mit dem Ideal materieller Bescheidenheit auf. Bescheiden, schlicht, unprätentiös = gut. Diese Rechnung ging bei uns immer auf. Aber je älter ich wurde, desto fader kam mir das vor. Was habe ich die Katholiken früher beneidet. Mit ihren aufwendig bestickten Messgewändern, den pompösen Altären, den sahnetortenhaften Kommunionskleidern aus Satin und weißem Tüll! In meiner kargen Kirche war der einzige Luxus die Akustikgitarre des Diakons, und die war wahrscheinlich secondhand. Es ist dieser auf Askese angelegte Protestantismus, der den Menschen eingeredet hat, dass man sein Geld besser zusammenhält. Und wenn man es doch ausgibt, dann bitte wenigstens nicht zu offensichtlich.
Sie kennen das: Macht man dem Kollegen, der Nachbarin, der Friseurin ein Kompliment ("tolle Jacke", "schickes Kleid"), kreist die Reaktion sehr wahrscheinlich um den Kaufpreis: "Das war ganz billig, zehn Euro im Schlussverkauf!" Das macht niemand sonst auf der Welt, das machen nur wir Deutschen. In keiner anderen Kultur wird Sparsamkeit mehr gefeiert. Neid gilt es hierzulande unbedingt zu vermeiden, als sei der ein Problem der Beneideten und nicht der Neider. Wer nicht sparsam ist, nicht der schwäbischen Hausfrau nacheifert, gilt im besten Fall als großzügig, im schlimmsten als verschwenderisch.
Oft denken die Luxus-Kritiker auch einfach nicht lange genug nach (vermutlich weil Zeit bekanntlich Geld ist). Nehmen wir die Schlagzeilen über die Make-up-Ausgaben des französischen Präsidenten Emmanuel Macron aus dem Sommer 2017. Damals empörten sich nahezu alle Medien – von der Bunten bis zur FAZ – über die Kosten: "Skandal! Macron verpulvert 26.000 Euro für Schminke!" SECHSUNDZWANZIGTAUSEND! Für Puderquasten und Nagelfeilen???
In Wahrheit handelte es sich vor allem um das Honorar einer Visagistin, die drei Monate lang für den Staatschef gearbeitet hatte. Wenn man die Summe umrechnet, ergibt sich daraus ein durchschnittlicher Tageslohn von rund 280 Euro. Das ist nicht maßlos viel für lange Schminkschichten. Schließlich muss so ein Präsidentengesicht auch nach strapaziösen Arbeitstagen und am Wochenende noch wie das blühende Leben aussehen. Sonst unken dieselben Kritiker: "Schlechte Haut, grauer Teint, Augenringe: Ist Macron amtsmüde? Krank? Geht die Grande Nation unter?"
Natürlich kann finanzielle Unbesorgtheit unter Umständen auch unsympathisch, peinlich oder protzig wirken. Wer nicht aufpasst, wirkt am Ende wie einer dieser superreichen Teenager, die sich in YouTube-Videos gegenseitig vorrechnen, wie viel ihre Fendi-Bags und Gucci-Manschettenknöpfe gekostet haben. Oder trägt mit Dollarscheinen bedruckte Trenchcoats, wie Kim Kardashian. Aber wer einigermaßen stilsicher ist, wird nicht in diese Falle tappen. Versprochen. Außerdem prahlen auch (vermeintlich) bescheidene Menschen ganz schön oft: mit ihrer eigenen Bescheidenheit.
Selbst FDP-Chef Christian Lindner hat das neulich versucht. Begleitet von einem Spiegel-Reporter betonte er, sein 911er Porsche basiere ja auf dem VW-Käfer, stamme also praktisch direkt ab von einem Auto für jedermann. Offenbar glaubt Lindner, dass Bescheidenheit selbst da funktioniert, wo sie gänzlich abwesend ist. Weil der Deutsche es eben genügsam mag.
Warum feiern wir nicht einfach mal diejenigen, die ihr Geld ausgeben, verteilen, investieren oder ganz tollkühn verprassen? Die mehr wollen vom Leben als einen Bausparvertrag oder das neue Sonderangebot von Penny? Schließlich ist es auch die Fähigkeit zur Verschwendung, die den Menschen vom Tier unterscheidet. Tiere horten und legen Wintervorräte an – geben aber selten einen aus.