Fabienne Hurst
Kurzbiographie der Autorin
geboren 1987 in Müllheim, Baden, ist freie Autorin und Filmemacherin in Hamburg. Nach dem Studium an der Journalistenschule in Straßburg volontierte sie beim NDR. Sie arbeitet vor allem für die Redaktion des ARD-Politikmagazins “Panorama” im Ersten, dreht Dokumentationen und schreibt über Gesellschaftsthemen für die „Süddeutsche Zeitung“ und „Die ZEIT“. Sie ist Teil des WDR-Dokuprojekts „Docupy“ der bildundtonfabrik in Köln.
Im Interview
Wie entstand die Idee zu Ihrem Beitrag und wie haben Sie recherchiert?
Ich habe ein Interview mit Sahra Wagenknecht gelesen und mich über den Fragensteller aufgeregt. Er machte ihr indirekt den Vorwurf, es mit dem Sozialismus nicht ernst zu meinen, weil sie ihre „Aufstehen"-Bewegung in einem vermeintlich zu teuren Restaurant gründete. Wo bitte, fragte ich mich, hätte sie ihre Mitglieder denn hinbestellen sollen, um diesem Vorwurf zu entgehen? Zu McDonald’s? Ich notierte mir diese Szene in mein „Ideen“-Dokument, in das ich alles reinschreibe, was mich aufregt. Aus echten Gefühlsregungen entstehen ja die ehrlichsten Texte. Kurze Zeit später passierte etwas, was ich thematisch in unmittelbarer Nähe zu der Haltung des Journalisten vermutete: Ich machte einem Freund ein Kompliment für seine Jacke - und der erwiderte, wie billig sie doch gewesen sei. Mir fiel auf: Das machen ziemlich viele Menschen, vor allem in Deutschland. Warum sind sie so stolz darauf, besonders wenig Geld auszugeben? Selbst wenn sie welches haben? Wieso ist hierzulande Sparsamkein eine solche Tugend, ein Ideal statt einer Notwendigkeit? Ich las zufällig ein Spiegel-Portrait über Christian Lindner und mir fiel auf: Er will einerseits Porsche fahren, gleichzeitig aber nicht protzig rüberkommen. Wieder so jemand, dachte ich. Meine Gedankensammlung wuchs und wuchs.
Wie wurden Sie unterstützt?
Ich spreche gern über meine Themenideen mit Freunden, Bekannten und anderen Journalisten. So kann ich prüfen, ob das Thema überhaupt interessant ist und ob meine Argumente stichhaltig genug sind, beziehungsweise die These stimmt. Das Feedback hat mich überzeugt, weiter zu sammeln: Über Wochen hinweg kamen immer mehr Beispiele hinzu. Meine Redakteurin Karin Ceballos-Betancour erzählte mir von Karl Marx' Vorliebe für Champagner und der Kollege Lars Weisbrod brachte mich auf den Burberry-Schal von Varoufakis. Ich erinnerte mich, dass ich in einem Buch des Publizisten Peter Richter einmal einen klugen Gedanken über Restaurants und Umverteilung gelesen hatte und fand die Textstelle wieder (mit seiner freundlichen Unterstützung). Bei den Philosophen stieß ich schnell auf Kant, der sich zu meiner Überraschung wunderbare Gedanken über Geldverschwendung, Sparsamkeit und Moral gemacht hatte. Als dann die Berliner SPD-Politikerin Sawsan Chebli massiv dafür kritisiert wurde, eine Rolex zu tragen, dachte ich: Das ist doch mein Thema! Und der Texte wurde rund. Besonders gefreut habe ich mich über die sorgfältige Redigatur der Redaktion und das wunderbare Layout: Das Künstlerduo Jacob&Reischel hatte die grandiose Idee, Luxus im Sozialismus zu einem Wortwitz verbinden und drapierte fürs Foto Hummer und Sichel.
Was macht für Sie persönlich guten Journalismus aus?
Sorgfalt in der Recherche, Wahrheit, Ergebnisoffenheit, Beharrlichkeit, Originalität, Demut, Grautöne, Witz.
Was braucht ein herausragender Artikel?
Das ist eine sehr große Frage, Artikel können ja aus den unterschiedlichsten Gründen herausragend sein. In Meinungstexten freue mich immer über originelle Thesen, die ernst gemeint, die sorgfältig argumentiert sind und dabei trotzdem unterhalten. Manchmal wundere ich mich über vermeintlich mutige Leitartikel, die jedoch nur provozieren wollen, ohne dass der Autor oder die Autorin wirklich dahinter zu stehen scheint. Die beste Mischung ist für mich daher: echte Haltung plus echte Ahnung plus ein bisschen Augenzwinkern.
Was erwarten Sie von der Preisverleihung am 26. Juni in Berlin?
Ich freue mich sehr darauf, die anderen Nominierten der fünf Kategorien sowieso die Mitglieder von Jury und Kuratorium kennenzulernen. Und natürlich auf ein Fest, das auch Marx gefallen würde!