Julius Betschka und Martin Nejezchleba
Kurzbiographien der Autoren
Julius Betschka, 1991 in Magdeburg geboren, wuchs an der Elbe auf und wollte erst Ritter werden, später Archäologe. Weil seine Deutsch-Lehrerin in der Oberstufe riet, das professionelle Schreiben anderen zu überlassen, arbeitete er neben seinem Politik-Studium im Deutschen Bundestag und für eine Fluggesellschaft. Während seines Masterstudiums an der Universität Potsdam hospitierte er dann links und rechts der Berliner Rudi-Dutschke-Straße. Seit 2017 volontiert er bei der Berliner Morgenpost. Betschka schreibt am liebsten über Politiker, Extremismus, soziale Probleme und deren Lösungen.
Martin Nejezchleba, 1982 in einem Land geboren, das sich ČSSR nannte. Er wuchs in Bayern auf, studierte dort und in Chile Europäische Ethnologie und Journalismus, wurde dann freier Journalist in Prag. Später machte er ein Volontariat an der Evangelischen Journalistenschule mit Stationen beim RBB, ZDF, im Investigativ-Ressort der ZEIT und bei der Berliner Morgenpost. Dort fing er nach dem Volontariat als Reporter an und schreibt am liebsten recherchestarke Stücke mit menschlichem Antlitz.
Im Interview
Wie entstand die Idee zu Ihrem Beitrag und wie haben Sie recherchiert?
Martin Nejezchleba: Am Anfang unserer viermonatigen Recherche stand eine dramatische Statistik: Im Einwanderer-Bezirk Neukölln ist die Säuglingssterblichkeit fast doppelt so hoch wie im Rest Berlins. Dann setzte der Neuköllner Gesundheitsstadtrat einen Tweet in die Welt, der viral ging. Muslimische Verwandten-Ehen seien Mitschuld am Sterben der Säuglinge in Neukölln, schrieb er. Wir fragten uns: Kann das stimmen?
Julius Betschka: Wir haben den Stadtrat immer wieder getroffen, mit Experten gesprochen und uns in Themen eingearbeitet, die es in sich hatten: Genetik, Geburts- und Todesstatistiken, medizinische Forschung. Irgendwann klar: Wir werden das Rätsel nicht lösen können; dazu war die Faktenlage zu dünn. Und uns wurde klar, dass die eigentliche Geschichte der Umgang mit diesen Fakten war und die Frage, ob wir in Deutschland eigentlich noch über kontroverse Themen diskutieren können, ohne in ideologische Grabenkämpfe zu verfallen.
Vor welchen Herausforderungen standen Sie dabei?
Julius Betschka: Wie schreibt man eine Geschichte auf, die auf Mutmaßungen fußt, eine Geschichte, die von Vorurteilen lebt und dem Nicht-Wissen vieler Menschen? Wir haben lange darüber nachgedacht, ob und wie sich so eine Geschichte verständlich und spannend aufschreiben lässt.
Martin Nejezchleba: Am Ende sind wir den transparentesten Weg gegangen und haben die Unsicherheit von Politikern und Experten zum Thema des Texts zu machen. Und auch unsere eigenen Zweifel, unsere Suche. Ich habe mich immer wieder dabei ertappt, wie ich dachte: ist doch völlig klar, zu sagen, die Sterblichkeitsraten haben etwas mit muslimischen Verwandtenehen ist purer Rassismus. Die Gespräche mit Experten und unter uns Autoren führten aber immer wieder zu dem Gedanken: vielleicht kann man das auch anders sehen.
Julius Betschka: Auch das Treffen mit den Betroffenen war so ein Moment. Die standen Verwandten-Ehen wahnsinnig kritisch gegenüber. Und waren ja selbst das eindrücklichste Beispiel für die Gefahren. Es war gar nicht so einfach, eine Familie zu finden, die öffentlich über das Thema sprechen wollte.
Von wem wurden Sie dabei unterstützt?
Julius Betschka: Wir erhielten große Unterstützung durch unsere Redaktion. Insbesondere durch unsere Chefredakteurin Christine Richter, die uns die notwendige Zeit und das Vertrauen für diese Langzeit-Recherche schenkte.
Martin Nejezchleba: Wir danken auch all den Wissenschaftlern und Sozialarbeitern, die sich viel Zeit für uns genommen haben. Und vor allem danken wir der Familie Z. – für ihre Offenheit und ihren Mut.
Was macht für Sie persönlich guten Journalismus aus?
Martin Nejezchleba: Er stützt sich auf Fakten und verliert dabei die Menschen und ihre Geschichten nicht aus dem Blick. Guter Journalismus schafft es, aufzuklären ohne zu langweilen.
Julius Betschka: Guter Journalismus urteilt nicht vorschnell. Er deckt auf und macht verständlich, wo Gesellschaft gelingt oder scheitert. Er nähert sich Themen möglichst ideologiefrei.
Was braucht ein herausragender Artikel?
Julius Betschka: Wahrhaftigkeit, Gründlichkeit, Verständlichkeit – für so viele Menschen wie möglich.
Martin Nejezchleba: Stimmt. Ich finde, ein herausragender Artikel lässt auch die Zweifel der Autoren zu. Er kommt nicht allwissend daher, sondern legt den Rechercheweg und all seine Umweg offen.
Was erwarten Sie von der Preisverleihung am 26. Juni in Berlin?
Martin Nejezchleba: Einen feierlichen, schönen Abend.
Julius Betschka: Und spannende Gespräche mit den Kolleginnen und Kollegen aus anderen Redaktionen.