Zwölf Meter über dem Meer
von Sebastian Dalkowski
Das niederrheinische Hassum hat keine Schule, keinen Bäcker und keinen Schützenkönig mehr. Nun will auch noch der letzte Kneipenbesitzer kürzertreten. Besuch in einem Dorf, das sich trotzdem nicht geschlagen geben will.
Du sollst mich begleiten. In das Dorf, in dem zum ersten Mal kein Osterfeuer brannte. In dem die Menschen Paessens, Luyven, Spronk, Willems heißen, als wären sie holländische Migranten. Durch das zwei Kängurus hüpfen. Hassum könnte auch dein Dorf sein.
Wir werden die A57 Richtung Nimwegen nehmen, die letzte Ausfahrt auf deutscher Seite. Ein paar Kilometer B9, runter nach Asperden, am Supermarkt links ab. Merk dir den Supermarkt. Gekurve zwischen Äckern, kein Mittelstreifen, dann rechts auf die Hassumer Straße, mitten durch den Ozean der Landwirtschaft. Bald siehst du den Kirchturm, und der ist nicht mal hoch. Hassum, 1143 Einwohner, vor 49 Jahren Goch zugeschlagen, zwölf Meter über dem Meeresspiegel.
Was soll ich denn da?, fragst du, und die Frage ist berechtigt. Wer Richtung Hassum fährt, hat nur zwei Gründe: Entweder ist er Hassumer oder er muss weiter nach Hommersum. Nach Hassum kommt nur noch Hommersum, dann ist Deutschland zu Ende. Hassum ist gar nicht mal so schön, sagen auch die Hassumer.
Nicht auf den ersten Blick, nicht auf den zweiten und dritten Blick. Selbst die Kirche nicht. Die schöne Kirche haben sie nach dem Zweiten Weltkrieg nicht wieder aufgebaut, stattdessen eine Notkirche errichtet, die sie dann ausbauten und bis heute nutzen. Bauvorschriften scheinen im Dorf nicht zu gelten. Da steht der Bauernhof nahe der Blockhütte, und gegenüber ein Haus aus weißen Quadern. Touristen fahren mit dem Rad zwischen den Feldern an Hassum vorbei.
Nicht mal einen Dorfkern gibt es. Hassum besteht aus zwei Teilen, die durch eine Straße verbunden sind. Ein paar Dutzend Häuser um den Sportplatz, und der größere Teil mit der Kirche. Dort hörst du die Autobahn, Felder taugen nicht als Lärmschutz. Die Vögel zwitschern dazu. Viel passiert auf den ersten Blick nicht. In der Facebook-Gruppe "Du bist Hassumer, wenn..." fragen sie, ob jemand einen Pfau vermisst, oder teilen mit, dass sie eine tote Katze gefunden und auf den Seitenstreifen gelegt haben. Man kann stundenlang spazieren und höchstens jemanden treffen, der die Mülltonne an die Straße stellt. Tagsüber sind alle zum Arbeiten weggefahren, und wohin sollen sie laufen?
Du fragst noch mal, was du denn in Hassum sollst, aber so weit sind wir noch nicht. Lass mich dir erst von dieser Immobilienanzeige erzählen. Die Mühle steht zum Verkauf. „In Hassum selbst finden Sie alles für den täglichen Bedarf.“ Das ist glatt gelogen. Arzt, Kindergarten, Altenheim, Tankstelle, Frisör gibt es hier nicht. Der Bäcker hat vor Jahrzehnten aufgegeben, die Handwerker sind weggezogen, die Post hat zugemacht, die Bank auch. Die Grundschule wurde 2013 geschlossen, nach 83 Jahren. Zu wenige Kinder.
2017 hatte Hassum zum ersten Mal keinen Schützenkönig. An dem Tag hatten sie wie üblich alles abgeschossen, was der Holzvogel anbot. Den Kopf, den rechten Flügel, den linken Flügel, den Schwanz. Bloß den Rumpf wollte niemand abschießen, da wäre man Schützenkönig gewesen. Viel Geld kostet das Amt nicht mehr, aber es kostet Zeit, weil der König auch einige Termine außerhalb des Dorfes besuchen muss. Ob 2018 jemand vortritt, wissen sie noch nicht.
Das öffentliche Osterfeuer ist in diesem Jahr ausgefallen. Dafür war früher die Landjugend verantwortlich, aber die hat sich Anfang des Jahres aufgelöst, als nur noch ein Dutzend Leute zur Jahreshauptversammlung kam. Jugendliche haben nun keinen Ort mehr in Hassum, an dem sie sich treffen können. In den 90ern war die Landjugend eine Anlaufstelle, viermal pro Woche. Kicker, Tischtennisplatte, Plattenspieler, Alkohol. Sie gingen zelten, fuhren mit den Rädern zu Partys.
Wo ist denn der Supermarkt?, fragst du. Haha. Ich habe dir doch von dem in Asperden erzählt. Dorthin müssen die Hassumer fahren, wenn sie einkaufen wollen, zum Glück nur fünf Minuten mit dem Auto. Der „Trägerverein Dorfentwicklung und Alte Schule Hassum“ versucht seit einigen Jahren, in der Grundschule einen Dorfladen zu errichten, aber wer im März auf der Jahreshauptversammlung war, glaubt nicht mehr daran.
Thema nicht zu Ende, aber erst mal Ruhe an der Front.
Dabei haben sie das ernsthaft versucht. Sie haben Fragebögen in Hassum und Hommersum verteilt. Die Beteiligung war eher ernüchternd, aber Bedarf schien zu sein. Nicht für den Wocheneinkauf, aber für Brötchen und Fleisch. In der Einladung stand: „Über eine rege Beteiligung würden wir uns sehr freuen.“ Und dann saßen da vorne sechs Männer aus dem Vorstand und acht Leute vor ihnen, in einem Klassenraum, an zusammengeschobenen, zu niedrigen Tischen auf unbequemen Bänken.
„Thema nicht zu Ende, aber erst mal Ruhe an der Front“, sagte der Vorsitzende zu den Dorfladen-Plänen. Am Ende sagte er: „Dann darf ich mich bei allen bedanken... hätten ein paar mehr sein können.“ Es fehlt einfach jemand, der die Sache in die Hand nimmt. Es muss immer einen geben, der die Sache in die Hand nimmt.
Ein bisschen was gibt es hier schon. Hast du ein Feld, das es zu pflügen gilt? Dann kannst du damit ein Unternehmen beauftragen. Du kannst dir auch die Füße machen lassen, die Nägel, den Hund, den Computer, das Haus, den Garten. Du kannst dir Zigaretten ziehen und einen Brief einwerfen. Du kannst Wein kaufen. Du kannst dich ins Bauerncafé setzen. Du kannst sogar Bus fahren, Hassum hat vier Haltestellen. Allerdings nur, wenn du mindestens eine halbe Stunde vorher anrufst, und der Bus ist ein Taxi. Du kannst dir auch ein Känguru ansehen, zwei sogar. Ernst, 75, und Hannelore, 74, haben Esel, Schafe, Ziege, Hühner, Pfauen, Fasane, Emus, Alpakas. Zum 75. hat seine Familie Ernst zwei Kängurus geschenkt, ein braunes und ein weißes. Warum Kängurus? Warum denn nicht?
Ich kann dir sogar ein Bier ausgeben. Eine von vier Kneipen ist noch übriggeblieben. Sie heißt "Zum Dorfkrug". Klar. Offiziell hat sie bis eins geöffnet, aber wenn um neun niemand mehr da ist, macht der Besitzer den Laden dicht. Auf der Karte Pils und Alt für 1,50, Schnaps, kein Heißgetränk. Bestellst du eine Cola, ist die Kohlensäure aus der Flasche, bevor der nächste eine bestellt. Ein Raum aus einer anderen Zeit. Dartautomat, Kicker, Billardtisch.
Es gibt mehr alte Säufer als alte Ärzte.
Hinter der dunklen Holztheke steht Hendrik van der Vlist, seit 1986. Holländer, 61, unverheiratet. Schnurrbart. Alle nennen ihn Henning, weil damals niemand Hendrik hieß. Sagt Sachen wie „Es gibt mehr alte Säufer als alte Ärzte.“ Trocknet auf der Heizung der Kneipe Pilze auf einem Backblech, bevor sie im Kühlschrank verkommen, und bewahrt sie dann in Gläsern auf. Trinkt gerne mit, ohne sich das anmerken zu lassen, so hat er wenigstens einen Kunden mehr.
Sagt, sein Umsatz sei auf ein Viertel geschrumpft. Die Leute trinken ihr Bier zu Hause, und die Handwerker arbeiten nicht mehr im Ort. Wäre Hendrik nicht der Besitzer, sondern der Pächter des Hauses, hätte er schon aufgehört. Bald will er kürzertreten, ein paar Stammkunden hat er aber noch. Einer wohnt im Haus. Der äußerte mal die Theorie, dass man verdunsten kann, weil man durch Bier mehr Flüssigkeit abgebe, als man aufnehme. Sollte das stimmen, ist er in großer Gefahr.
Donnerstagabends kommen immer ein paar Typen aus dem Fitnesskurs für Männer. Denn ja, es ist wahr: Es gibt keinen Bäcker im Dorf, aber einen Fitnesskurs für Männer. Vom Sportverein DJK Hommersum-Hassum. Alle sagen Ho-Ha. Sie treffen sich in der Turnhalle, die zur alten Grundschule gehört. Der Dorfladen-Verein kümmert sich um das Gebäude, damit es dem Dorf nutzt und nicht etwa einem Investor. Das musst du dir klar machen: Von außen betrachtet wirken viele Dinge im Dorf wie eine Kleinigkeit, im Dorf selbst aber sind sie von großer Bedeutung. Der Unterschied zwischen Turnhalle im Dorf und keiner Turnhalle ist der Unterschied zwischen zu Fuß zum Sport gehen oder mit dem Auto in den nächsten Ort fahren müssen.
Wenn das Dorf seine Infrastruktur verliert, weil sie sich finanziell nicht rechnet, dann bleibt den Dorfbewohnern keine andere Wahl, als selbst die Infrastruktur zu sein. Sonst ist hier nur Vogelgezwitscher und Autobahnrauschen. Wenn die Leute sich schon in keinem Supermarkt begegnen oder auf der Straße, dann eben auf dem Fußballplatz oder bei der Rückengymnastik. Hassum hat eine Freiwillige Feuerwehr, Landfrauen, Messdiener, einen Mofa-Club, einen Heimat- und Verschönerungsverein.
Die Schützen haben die Kirmes in die Hand genommen, sonst hätte es bereits im vergangenen Jahr keine mehr gegeben. Ein paar Frauen schmeißen die Pfarrbücherei, die zweimal pro Woche für eine Stunde öffnet. 2000 Medien, das meiste für Kinder, aber auch „Shades of Grey“. Dreimal wurde es ausgeliehen. Wäre ich gerne dabei gewesen, weil: Die Frau von der Ausleihe, sie ist deine Nachbarin.
Der Bundesschützenmusikzug ist eine richtig seriöse Angelegenheit mit Blasorchester. Das hat 50 Mitglieder, dazu 40 Schüler und Zulauf aus den umliegenden Orten, weil es dort so was nicht gibt. Die Lehrer sind Profis. Momentan proben sie „Die Völkerschlacht bei Leipzig“, jede Woche im Dorfhaus, schwerer Stoff.
Vom Dorfhaus hatte ich dir noch nicht erzählt, oder? Als in den Neunzigern klar wurde, dass die letzte Kneipe mit Saal schließt, hat sich die Dorfgemeinschaft ein Dorfhaus gebaut. Sonst hätten sie jede größere Versammlung anderswo abhalten müssen. Früher war dort ein Bauernhof, dann hat die Stadt das Grundstück gekauft, die Vereine unter Führung der Schützen haben den Bau gestemmt. Nicht schön, aber praktisch. Viel Eigenleistung. Wie das eben auf dem Dorf ist: Die Stadt unterstützt ein bisschen, aber dann muss das Dorf anpacken und ein paar Sponsoren bequatschen. Jetzt proben da Musikverein und Spielmannszug, treffen sich die Kartenspieler. Am Wochenende kann man den Saal mieten.
Der zentrale Verein im Ort ist Ho-Ha. Die zwei Dörfer haben sich dafür schon 1947 zusammengetan. Jahrzehntelang hatte der Verein bloß ein paar Hundert Mitglieder, bis in den 90ern zur Fußballabteilung noch eine Breitensportabteilung kam, Fitness, Selbstverteidigung, Yoga, Wandern, Tanzen, Reha. Da stieg die Zahl bis auf 1100, jetzt sind es immer noch 900. Sorge macht vor allem die Fußballabteilung. Konkurrierende Freizeitangebote für Jugendliche, klar, aber es kommen vor allem zu wenige Kinder auf die Welt, um genügend Spieler für die Teams zu finden. Deshalb hat sich die Jugendabteilung mit denen der Nachbardörfer Kessel und Asperden zusammengeschlossen. Die Herrenmannschaft tritt seit 2014 in einer Spielgemeinschaft mit Kessel an.
An den Tagen vorm Spiel walzt der Platzwart stundenlang über den Rasen, aber der Ball hoppelt trotzdem noch. Manchmal landet er auch in einer Hecke oder hinter einem Zaun.
Ruft der eine Fan: „Schiri, das Spiel ist schon längst aus.“
Ruft die Gegenseite: „Noch lange nicht.“
Du kannst dein Auto gleich hinterm Tor auf einer Wiese parken. Sie haben Ballfangnetze aufgehängt, aber eine durch Zeugen verbürgte Geschichte besagt, dass ein Spieler seinen eigenen Außenspiegel abgeschossen hat. Alles haben sie sich hier in Eigenregie hingesetzt. Ein neues Vereinsheim, eine Grillhütte, Ersatzspielerhäuschen. Projekte halten eine Gemeinschaft zusammen.
Bitte, was sagst du? Niemand engagiert sich heute mehr ehrenamtlich? Nimm Leo. Leo ist 69 und der Vorsitzende des Trägervereins Alte Grundschule. Damals beim Dorfhaus hat er auch mitgemischt, Schütze ist er auch. Leo sagt, er ist in jedem Verein, nur nicht bei den Landfrauen. Unerschütterlicher Gesichtsausdruck, spricht immer in einer Tonlage, leise, du musst schon genau hinhören. „Hätte mich über höhere Beteiligung gefreut“, wenn er das sagt, heißt das: Leute, kommt doch mal aus dem Quark, wir wollen kein Schlafdorf werden. Da klingt eine gewisse Resignation durch, und doch weißt du: Beim nächsten Projekt steht er wieder in der ersten Reihe.
Oder die Giesen-Brüder von Ho-Ha, beide Mitte 40. Wohnen fast nebeneinander, nur Mutter noch dazwischen. Hans-Josef, alle sagen Josi, unter seinen Mails steht immer „Alles wird gut“, und wenn das nicht mehr druntersteht, weißt du, die Nordsee hat Hassum geflutet. Auf jedem verdammten Foto grinst er, als hätte er jemandem Zahnpasta auf die Türklinke geschmiert. Macht seit 15 Jahren den „Sportschuh“, das Vereinsmagazin, vier Ausgaben pro Jahr, voller Floskeln, aber auch voller Herz.
Sein Bruder Andre hat alle Altersklassen des Vereins durchlaufen, sich dann um die Jugendarbeit gekümmert und vor vier Jahren zum Vorsitzenden wählen lassen. Er trainiert auch eine F-Jugend und spielt wie Josi in der „Alte Herren“. Jedes Jahr sucht er neue Trainer für die Jugendmannschaften. Und wenn einer nicht will, dann sagt er: Kriegste einen zweiten Betreuer dazu und einen dritten. Und dann fangen sie an zu überlegen. Knapp 50 Jugendbetreuer hat der Verein. In welcher Liga die erste Herrenmannschaft spielt, ist für ihn nicht so wichtig. Neulich ist er nach 60 Minuten heim, weil er seine Frau an dem Tag noch nicht gesehen hatte.
Solche Menschen könnte ich ein paar Stunden aufzählen. Gitti, die den Schützenverein als Brudermeisterin anführt, weil niemand sonst wollte. Die Mädchen aus dem Selbstverteidigungskurs, die bei Heimspielen von Ho-Ha Kuchen verkaufen, um damit einen Ausflug zu finanzieren. Der Typ, der spontan sagt „Dann mache ich das mal“, als der Dorfladen-Verein einen neuen Beisitzer sucht. Die Eltern, die die Schnitzeljagden und Kinobesuche für die Messdiener organisieren, denn heutzutage wollen Messdiener motiviert werden. Das Team, das die Karnevalssitzungen im Dorfhaus organisiert, aber ohne Elferrat, denn Elferrat heißt, dass elf Leute im Publikum fehlen. Die Person, die für den Kindertrödel in der alten Grundschule „Kindertrödel“ auf ein weißes Tuch malt und es mit vier Klebestreifen an der Fassade befestigt.
Klar, das wird weniger. Im „Sportschuh“ regen sie sich regelmäßig auf, dass so wenige Leute zum Platzpflegetag gekommen sind. Manchmal begegnen den Alteingesessenen Leute, die sie noch nie gesehen haben, weil sie sich nirgendwo engagieren. Aber dafür gibt es dann die, die die Dinge vorantreiben. Ohne die kannst du den Laden dicht machen. Wenn man selbst es nicht macht, macht es vielleicht noch der Nachbar. Sonst fällt das Angebot weg. Da tauchen nicht einfach so um Mitternacht drei Reisebusse auf, sondern weil der Sportverein eine Fahrt zum Länderspiel nach Düsseldorf organisiert hat.
Nur ist die Frage, ob die Luyvens, Paessens‘ und Giesens ihre Kinder dazu bringen werden, sich auch zu engagieren. Vielleicht werden die Messdiener von heute die neue Landjugend von morgen sein und die Fußballtrainer von übermorgen. Die nächste Generation muss zeigen, ob sie das noch alles möchte oder doch in Wirklichkeit bloß zum Schlafen heim und bitte lasst mich mit Euren Ehrenämtern in Frieden, ich will Netflix gucken. Der frühere Bürgermeister der Stadt Goch wohnt seit 40 Jahren in Hassum, jetzt ist er im Ruhestand und sagt, er hält sich aus der Dorfentwicklung raus. Das ist jetzt das Dorf der Leute nach ihm.
Mir schon klar, dass die Dörfer altern, weil immer weniger Kinder geboren werden. Aber es gibt junge und relativ junge Menschen in Hassum. Schon deshalb, weil viele von ihnen nach der Schule nicht weggezogen beziehungsweise zurückgekehrt sind. Nach dem Studium. Die Einwohnerzahl wächst ganz leicht. Manche haben sogar das Pendeln nach Düsseldorf in Kauf genommen oder nach Krefeld, um nicht weg zu müssen.
Die sagen: Hier hab ich Freiheit und Ruhe, das kann mir die Stadt nicht bieten. Die bauen sich 200 Meter von ihrem Elternhaus ein eigenes Haus oder bleiben gleich bei den Eltern wohnen, nachdem sie das Haus ausgebaut haben. Auch weil die eigenen Eltern dann auf die Enkel aufpassen können. Dafür bringen die Kinder ihren Eltern irgendwann die Einkäufe aus dem nächsten Ort mit, wenn die nicht mehr können. Das ist auch einer der Gründe, warum der Dorfladen vermutlich nicht kommen wird: Die Leute sind nicht darauf angewiesen.
Vor mehr als einem Jahr zog eine alleinstehende Frau nach Hassum, ein Sozialfall. Es dauerte allerdings nicht lange, da kam sie in ein Hospiz, 30 Kilometer entfernt. Der Tumor war nicht aufzuhalten. Es war um Weihnachten. Der Pfarrer bat die Hassumer im Gottesdienst, die Frau zu besuchen, sie sei sehr einsam. Fünf Frauen taten sich zusammen, die sich fortan damit abwechselten, zu ihr zu fahren.
Die Frau freute sich über jeden Besuch. Weil sie nicht mehr so gut sprechen konnte, gab sie den Hassumerinnen Briefe mit. Dann starb sie. Vor ihrem Tod hatte sie dem Pfarrer gesagt, dass sie auf keinen Fall verbrannt werden wollte, aber weil sie ein Sozialfall war, drohte genau das. Der Pfarrer sprach mit dem Bestattungsunternehmen, am Ende kam ein Preis raus, den das Amt übernahm. Der Leichnam wurde begraben. Ein paar Tage nach der Beerdigung feierten die Frauen den 59. Geburtstag der Toten.
Also, fahren wir los?