Dr. Hernán D. Caro
Kurzbiographie des Autors
geboren 1979 in Bogotá, Kolumbien, lebt seit fast zwanzig Jahren in Deutschland. Doktor der Philosophie der Humboldt-Universität zu Berlin und freier Autor des Feuilletons der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung u.a. Er war journalistischer Volontär und später Mitarbeiter der Deutschen Welle, sowie Deutschland-Korrespondent des lateinamerikanischen Kulturmagazins „Arcadia“ (2007-2020). Er schrieb, zusammen mit Jana Burbach, das Drehbuch „Stimmlos“, eine Prognose fürs Jahr 2019, das im Dezember 2018 als vollständiges ZEIT Magazin erschien. Er war Lehrbeauftragter am Lehrstuhl für Westeuropäische Literaturen der Europa-Universität Viadrina in Frankfurt an der Oder und arbeitet als freier Redakteur an journalistischen Projekten des Goethe-Instituts in Südamerika und als Moderator in Deutschland und Kolumbien.
Im Interview
Wie entstand die Idee zu Ihrem Beitrag und wie haben Sie recherchiert?
Als Journalist schreibe ich über Bücher, Schriftstellerinnen und Schriftsteller, Fernsehserien – und auch immer wieder über das Leben in Deutschland. Dabei will ich den Leuten, die meine Texte lesen, neue Perspektiven eröffnen. Ich will ihnen etwas über die Erfahrungen von Menschen wie mir mitteilen: Menschen, die nicht in diesem Land geboren sind und doch entschieden haben, sich hier ein Zuhause aufzubauen und die zur deutschen Gesellschaft dazu gehören. Und das Schreiben dieser Texte ermöglicht mir selbst auch, meine Erfahrungen in Deutschland einzuordnen.
In diesem Artikel wollte ich eine bestimmte Frage untersuchen, die mich seit Jahren beschäftigt: Kann man eine positive, liebevolle Beziehung zu Deutschland haben, eine, die nicht nur eine rein pragmatische ist? Wie schafft es jemand wie ich, eine innige emotionale Beziehung zum Land zu haben? Mit „jemand wie ich“ meine ich jemanden, der in diesem Land nicht geboren ist oder der den sogenannten „Migrationshintergrund“ hat und gleichzeitig eine tiefe, wenn auch komplexe, Verbundenheit zu Deutschland empfindet – und der trotzdem regelmäßig und in den unterschiedlichsten Kontexten auf Stereotypen reduziert und als Fremdkörper angesehen wird. Wie könnte da Zuneigung zum Land aussehen – und überhaupt klappen? Das ist eine schwierige, sogar unangenehme Frage. Aber ich glaube, dass wir – und jetzt meine ich uns alle in Deutschland: diejenigen, die eine längere Geschichte im Land haben und diejenigen, die vor kürzerer Zeit dazu gekommen sind – uns diese Frage stellen müssen. Die Liebe zum Land kann nicht allein denen gehören, die „andere“ ausschließen wollen. Die Gesellschaft ist jetzt schon diverser als viele realisieren und die Energien, die in dieser Diversität stecken, sind keineswegs destruktiv. Sie machen das Land reicher und bergen das Potenzial, die deutsche Kultur weiter zu entdecken, zu gestalten und zu beleben. Deswegen was es mir ein dringendes Bedürfnis, ein paar meiner Erfahrungen und Gedanken aufzuschreiben.
Zur Recherche: Die wichtigste Quelle für den Text waren, klar, meine Erinnerungen der letzten zwanzig Jahre in Deutschland. Darüber hinaus habe ich, beim Schreiben des Textes und auch davor, mit Leuten gesprochen, die ähnliche Erfahrungen wie ich machen und mit anderen, die in Deutschland geboren sind und offen über unser Land reflektieren.
Vor welchen Herausforderungen standen Sie dabei?
Vor allem vor einer: einen Text schreiben zu wollen, der zwar persönlich, ja manchmal intim ist – und der gleichzeitig Menschen ansprechen sollte, die meine Erfahrungen nicht teilen.
Mein Zugang zum Thema ist zunächst autobiographisch: alles beginnt mit einer Person, die aus einem anderen Land kommt, sich aber für Deutschland „entschieden“ hat: hier studiert hat, die deutsche Geschichte, die Sprache, die Kultur und selbst die Geographie des Landes besser kennt, als die meisten Personen, die in Deutschland geboren und aufgewachsen sind; die deutscher Staatsbürger wurde; die sowohl privat als auch beruflich so gut integriert ist, dass sie auf Deutsch lebt und schreibt und an die Zukunft denkt (und – wenn wir ganz kitschig sein wollen – auch auf Deutsch träumt) und dennoch ständig mit der Erfahrung des Ausgeschlossenwerdens und der Exotisierung konfrontiert wird. Mein Anspruch ist es, dass der Text auch interessant und bedeutungsvoll für die Leser*innen sein kann, die die Erfahrungen, über die ich schreibe, nicht am eigenen Leib gemacht haben, und die vielleicht durch den Text nachvollziehen können, wie traurig und absurd und lächerlich es ist, letzten Endes allein wegen des Aussehens immer wieder als Fremdkörper behandelt zu werden – egal wie sehr man sich um Zugehörigkeit bemüht.
Von wem wurden Sie dabei unterstützt?
Viele meiner Texte, auch Bücher- oder Filmrezensionen, entstehen aus Gesprächen. Für mich, sagen wir mal, funktioniert der journalistische „Solipsismus", den ich von anderen Kolleg*innen kenne, nicht gut. Mir passiert es oft, dass mir das eigentlich Interessante oder Problematische an einem Thema und sogar an meiner eigenen Meinung erst deutlich wird, nachdem ich mit jemandem darüber diskutiert habe. Und so wurde ich auch beim Schreiben des nominierten Textes von Personen unterstützt, die mir nahestehen und mit denen ich mich über das Leben in Deutschland austausche. Dazu gehören unter anderem von mir geschätzte Kolleginnen und Kollegen der Redaktion des Feuilletons der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung. Und auch die Lektüre – die ja eine Art Gespräch ist – von manchen Autoren, die mir wichtig sind, war sehr hilfreich: von Kurt Tucholsky, Maxim Biller oder dem US-amerikanischen Schriftsteller James Baldwin.
Was macht für Sie persönlich guten Journalismus aus? Was braucht ein herausragender Artikel?
Ich glaube, gute journalistische Arbeiten – auch Meinungstexte, auch Glossen – müssen an erster Stelle informativ sein. Das bedeutet für mich: nach der Lektüre des jeweiligen Artikels weiß ich ein bisschen mehr von der Welt, als davor. Das klingt selbstverständlich – ist aber nicht immer der Fall. Damit mein Weltbild sich bereichert, sich erweitert, müssen die Informationen natürlich auf guten Recherchen basieren. Das heißt also, guter Journalismus muss ehrlich und wahrhaftig sein. Auch das ist nicht immer der Fall – auch in Deutschland, wo es eine herausragende Tradition für qualitativen Journalismus gibt. Ansonsten inspirieren mich Artikel, die mich zum Nachdenken anregen. Das heißt manchmal: mich dazu bewegen, meine eigene Meinung in Frage zu stellen. Schließlich finde ich, dass ausgezeichnete Texte klar sind – Texte, die, wenn nicht gleich „unterhaltsam“ sind (obwohl: ich glaube, viele journalistische Texte würden durch Humor an Kraft gewinnen), auf jeden Fall Lust machen, gelesen und noch mehr: wiedergelesen zu werden.