Reinhold Manz
Kurzbiographie des Nominierten in der Kategorie Thema des Jahres „Corona – Leben im Ausnahmezustand“ 2021
Reinhold Manz, Jahrgang 1983, hat in Konstanz Germanistik und Geschichte und in Mainz Journalismus studiert, mit Hospitationen und/oder freier Mitarbeit bei FAZ, FAS, faz.net und Hessischem Rundfunk, arbeitete danach als freier Mitarbeiter für den Südkurier. 2011 kam er als Volontär zum Zeitungsverlag Waiblingen (ZVW). Er hat dort seitdem in verschiedenen Lokalredaktionen sowie in der Kreisredaktion gearbeitet und wohnt mit seiner Familie mitten im Verbreitungsgebiet der ZVW-Tageszeitungen in Remshalden.
Im Interview
Wie entstand die Idee zu Ihrem Beitrag und wie haben Sie recherchiert?
Nachdem die erste Corona-Welle abgeebbt war, haben wir im Sommer 2020 in der Redaktion Themen gesucht für einen Schwerpunkt, eine Serie von Artikeln unter der Überschrift „Die Folgen der Corona-Krise“. Teil davon sollten auch Artikel über persönliche Schicksale sein, um dieser Krankheit, dieser Pandemie, die oft so schwer greifbar schien, ein Gesicht zu geben. Dabei kam der Name Rolf Föll wieder hoch, des ersten Corona-Toten in Deutschland, der zufällig aus dem Verbreitungsgebiet der Lokalausgaben des Zeitungsverlags Waiblingen stammte. Wir hatten im März bereits über ihn und seine ebenfalls an Covid-19 verstorbene Frau berichtet, als das Gesundheitsamt des Rems-Murr-Kreises die Öffentlichkeit dazu informierte.
Ich begann Ende Juni zu recherchieren. Es war dabei immer klar, dass daraus nur eine Geschichte wird, wenn die Hinterbliebenen mit im Boot sind und ihr Einverständnis geben. Über die Todesanzeigen fand ich die Namen der Verstorbenen. Mit meinen lokalen Kontakten versuchte ich behutsam, die Hinterbliebenen ausfindig zu machen und einen Draht zu ihnen herzustellen. Schließlich meldete sich die Nichte der Fölls bei mir, Susanne Heß.
Erst da erfuhr ich, dass auch noch Rolf Fölls Bruder Werner an Covid-19 gestorben war und er selbst ihn angesteckt hatte. Es zeigte sich schnell: Susi Heß wollte die Geschichte unbedingt erzählen und hatte ein großes Bedürfnis, sich etwas von er Seele zu reden. Die Leute müssen die Geschichte lesen, sagte sie, damit sie begreifen, wie gefährlich diese Krankheit wirklich sein kann, vor allem die krassen Leugner und Relativierer. Und sie überzeugte auch ihre Cousins, die Söhne von Werner Föll, und ihre Mutter, die Schwester von Rolf Föll, den schweren Weg zu gehen und das alles noch mal zu durchleben.
Die überregionale Dimension der Geschichte, die Ansteckung von Mireille Devaux-Föll bei einem Fastentreffen im Elsass, eines der großen Superspreading-Events am Anfang der Pandemie in Europa, war gut nachvollziehbar und durch einige Nachfragen beim Gesundheitsamt zu ergänzen. Die Einordnung ins sonstige lokale Infektionsgeschehen war mir bekannt, weil das natürlich die ganze Zeit Gegenstand unserer Arbeit in der Lokalredaktion war und ich auch selbst darüber in mehreren Artikeln geschrieben hatte. Das Spannende war dann auch, diese persönlichen Schicksale zu verweben mit den da schon historischen großen Entwicklungen im lokalen wie im internationalen Rahmen.
Vor welchen Herausforderungen standen Sie dabei?
Die größte Herausforderung lag in der Annäherung an die Hinterbliebenen. Wie geht man auf sie zu? Wie formuliert man E-Mails an Menschen, mit der Bitte bei der Kontaktherstellung zu helfen? Das hatte ich in der Art noch nie vorher gemacht. Dabei hat natürlich geholfen, dass mich die Leute, die ich angeschrieben oder mit denen ich telefoniert habe, als Lokalredakteur kannten und ich auf einem gewissen Vertrauensverhältnis aufbauen konnte. Die Herausforderung beim Schreiben lag darin, den Hinterbliebenen der Fölls gerecht zu werden und das Bild der Menschen, die sie immer noch betrauerten, so zu zeichnen, dass sie sie darin wiedererkannten. Ich weiß, wie schwer die Mitarbeit an diesem Artikel für sie war. Großen Respekt deswegen vor ihrem Mut und ihrer Leidensfähigkeit, die sie aufgebracht haben, weil sie selbst das Bedürfnis hatten, dass die Geschichte erzählt wird und das Gefühl, dass sie eine gesellschaftliche Relevanz hat. Eigentlich, muss man sagen, hätten sie den Preis mehr verdient als ich.
Was braucht ein herausragender Artikel?
Ich glaube, diese Frage kann man nicht pauschal beantworten, weil das immer vom Kontext und dem Gegenstand des Artikels abhängt. Aber ein paar grundlegende Elemente gibt es, meine ich: Eine klare Sprache, die einen als Leser mitnimmt, die nicht schwurbelt und nichts im Ungefähren lässt, die den Gegenstand des Artikels fair behandelt und ernst nimmt und ihm angemessen ist. Außerdem denke ich, um einen herausragenden Artikel entstehen zu lassen, braucht ein Journalist fast immer auch Glück: Dass er über das richtige, herausragende Thema stolpert, zur richtigen Zeit am richtigen Ort ist oder den richtigen Menschen begegnet. Leider, das muss man wohl ehrlich sagen, ist das dann, wie in meinem Beispiel, auch allzu oft die Kehrseite des Journalismus: Ein herausragender Artikel beginnt häufig mit dem Leid anderer Menschen. Und es zeichnet guten Journalismus aus, dass der Autor das beim Recherchieren und Scheiben nie vergisst.