Nora Voit und Maria Christoph

Kurzbiographie der Nominierten in der Kategorie Reportage 2022

Nora Voit, geboren 1991, wuchs im oberfränkischen Bamberg auf und zog nach dem Abitur zum Studium der Germanistik und Theater-, Film- und Medienwissenschaften nach Wien. Nach Praktika in den Münchner Kammerspielen und bei der taz besuchte sie von 2017 bis 2019 die Deutsche Journalistenschule. Während der Ausbildung machte sie Station im Feuilleton der ZEIT, bei Zeit Online und der Süddeutschen Zeitung. Dabei merkte sie, dass sie lieber zu Hause, an der Isar oder im ICE als im Großraumbüro arbeitet. Seitdem schreibt sie als freie Journalistin über Kultur und Medien, Kulinarik, psychische Gesundheit und Mensch-Tier-Beziehung. Zu ihren Auftraggebern gehören u.a. DIE ZEIT, fluter, Übermedien und die Produktionsfirmen ikone media sowie Enrico Pallazzo. Zur Realisierung ihrer Recherchen erhielt sie Stipendien von Netzwerk Recherche, Neustart Kultur und freundin. Sie lebt in München.
 

Maria Christoph, geboren 1992 in Nordhessen, zog die Arbeitertochter 2012 zum Studieren nach München. Als Team intensive Recherchen umzusetzen, faszinierte sie schon während dem Bachelorstudium und brachte sie über den Lokaljournalismus und Praktika bei SPIEGEL Online und der Deutschen Welle an die Deutsche Journalistenschule (DJS). Dort hatte sie das Glück, Menschen wie Nora Voit zu treffen und zu lernen, Themen auf verschiedenen Plattformen zu denken. Heute berichtet sie als freie Reporterin in Wort, Bild und Ton vor allem über Diversität, Migration, Armut und Arbeitsbedingungen. Ihre Stücke erscheinen unter anderem beim Bayerischen Rundfunk, in der ZEIT, bei VICE Deutschland und auf verschiedenen Podcast-Plattformen. Für den Podcast "Affäre Deutschland – die schwarzen Konten der CDU" erhielt sie 2020 gemeinsam mit Ihren Kolleginnen den Reporter:innenpreis. Zuvor zeichnete die Otto-Brenner-Stiftung ihr DJS-Abschlussprojekt, die Radio Doku „Der erste Tag der AfD“, mit dem Newcomer-Preis aus. Maria Christoph hat in München und Singapur Journalismus (M.A.), Kommunikationswissenschaft und Psychologie (B.A.) studiert.

Nora Voit und Maria Christoph
Francesco Giordano

Im Interview

Wie entstand die Idee zu Ihrem Beitrag und wie haben Sie recherchiert?

Nora Voit: Die Recherche entstand im Winter 2019 über einem Teller Pasta am WG-Küchentisch. Damals erzählte eine Bekannte vom toxischen Arbeitsklima während ihrer
Ausbildung in einem Münchner Nobelrestaurant. Ich fragte mich: Warum hält sich das Narrativ von „harten” Arbeitsbedingungen in der Spitzengastronomie seit Jahrzehnten so
hartnäckig? Warum werden Erzählungen von Gewalt und Missbrauch in der Branche normalisiert? Wie lässt sich ein rundum perfekter kulinarischer Abend in einem Sternerestaurant rechtfertigen, wenn Angestellte systematisch ausgebeutet und drangsaliert werden? Und wer oder was verhindert den Wandel? Fragen, die eine monatelange Recherche ins Rollen brachten.

Maria Christoph: Über eine Zeitraum von über einem Jahr folgten Dutzende intime, aufwühlende Gespräche mit Betroffenen, viele davon am Telefon oder via Zoom – die Pandemie begleitete unser gesamtes Projekt. Um das System Sternegastronomie zu durchdringen, sprachen wir zudem mit Gewerkschaften, Sterneköchinnen und Sterneköchen, Aussteigern und Brancheninsidern. Am Ende zeichnete sich das Bild eines Systems ab, das einen Wandel dringend nötig hat – und dem sogar Sterneköche selbst zum Opfer fallen.

Vor welchen Herausforderungen standen Sie dabei?

Nora Voit: Von Tag 1 an hat uns diese Recherche an unsere Grenzen gebracht. Die erste Besprechung fand mitten in der ersten Welle der Pandemie via Zoom-Call statt. Wir hatten uns beide gerade erst selbständig gemacht. Neben anderen Aufträgen einen gemeinsamen Workflow zu finden für ein investigatives Projekt ohne Redaktion im Hintergrund, wurde zur Mammutaufgabe. Uns war schnell klar: Dieses Projekt können wir nur mithilfe eines Stipendiums stemmen. Die Zusage von Netzwerk Recherche haben wir dementsprechend mit einem Glas Prosecco begossen. Und trotzdem wurden die Herausforderungen nicht kleiner: Wie und wo finden wir genug Betroffene? Nennen wir die Namen der mutmaßlichen Täter – allesamt gefeierte Sterne- und TV-Köche? Wie sichern wir uns rechtlich ab? Und wie nähert
man sich einer Szene, in der die allermeisten aus Angst vor beruflichen Konsequenzen nicht mit einem sprechen wollen?

Maria Christoph: Machtmissbrauch in Restaurantküchen passiert seit Jahrzehnten – und ist gleichzeitig bis heute Tabuthema. Wer darüber spricht oder legitime Rechte einfordert, wird als Verräterin oder Verräter geächtet. Und findet keine Anstellung mehr. Aus diesem Grund war es besonders schwer Betroffene zu finden, die mit uns offen über ihre teilweise traumatischen Erlebnisse sprechen wollten. Die meisten wollten ihre echten Namen am Ende nicht in der Zeitung lesen. Um uns abzusichern, haben wir nicht nur mit Betroffenen selbst gesprochen, Arbeitsverträge und eidesstattliche Versicherungen gesammelt, sondern auch über Monate hinweg Freundinnen und Freunde, Verwandte und Augenzeuginnen sowie Augenzeugen wie ehemalige Kolleginnen und Kollegen kontaktiert. Bis zum Schluss begleitet uns die Frage, wie ein Wandel aussehen müsste, um tatsächlich zu besseren Arbeitsbedingungen zu führen.

Wie wurden Sie dabei unterstützt?

Maria Christoph und Nora Voit: Ohne das Stipendium von Netzwerk Recherche und der Mercator Stiftung hätte es den “Gruß aus der Küche” nicht gegeben. Bei heiklen Fragen zum
Umgang mit anonymen Quellen, Fact Checking und Dokumentation hat uns unsere Mentorin, die Investigativjournalistin Pascale Müller, unterstützt. Streckenweise hat uns auch unser Kollege Dominik Wolf zur Seite gestanden, der auch zur Ideengebung beigetragen hat. Redaktionell betreute uns der ZEIT-Redakteur Malte Henk, der wochenlang mit uns am Text und an rechtlichen Feinheiten gefeilt hat und akribisch die Konfrontationen mit uns vorbereitet hat. Zuletzt haben wir diese Geschichte aber vor allem den Betroffenen zu verdanken, die den Mut hatten, ihre Erfahrungen mit uns zu teilen.

Was macht für Sie persönlich guten Journalismus aus?

Nora Voit: Aufrichtige Wissbegierde. Die Fähigkeit zur (Selbst)-Kritik. Ein langer Atem.

Maria Christoph: Guter Journalismus ist geduldig und gut recherchiert. Er scheut keine Fragen. Am Ende zeichnet er ein vielseitiges Bild von einem komplexen Thema und macht es mir als Leserin oder Leser zugänglich. Er muss nicht auf einem großen Datenleak fußen, guter Journalismus kann auch aus klugen Beobachtungen entstehen und Zusammenhänge einfach von vorne bis hinten durchdenken.

Was braucht ein herausragender Artikel?

Nora Voit: Empathie, Beobachtung, Transparenz, Sprache. Und er sollte sich von einem Drehbuch unterscheiden lassen.

Maria Christoph: Ein herausragender Artikel lässt mich nicht los – und sorgt dafür, dass ich mit anderen ins Gespräch komme. Er muss nicht alle offenen Fragen beantworten, aber konstruktive Lösungsansätze finden statt mich als Leserin oder Leser hilflos zu hinterlassen. Ich will einen Artikel verstehen und im Kopf behalten, ohne ihn immer wieder lesen zu müssen. Vor allem jedoch, ist er offen formuliert und drängt mich nicht in eine Richtung.

Was erwarten Sie von der Preisverleihung?

Nora Voit: Ich erhoffe mir einen unverkrampften Austausch mit Kolleginnen und Kollegen und Medienmachenden. Und im besten Fall noch eine kritische Reflexion der Arbeitsbedingungen von freien Journalistinnen und Journalisten.

Maria Christoph: Ich freue mich Menschen zu begegnen, die den Journalismus von heute voranbringen möchten, junge Ideen fördern und offen über die Zukunft der Branche diskutieren. Außerdem finde ich es spannend, Einblicke in andere Bereiche und Arbeitsweisen von Kolleginnen und Kollegen zu bekommen – beispielsweise aus Lokalredaktionen.

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