Sigrid März
Kurzbiographie der Nominierten in der Kategorie Bestes lokales Stück 2022
Ur-Münsteranerin, Jahrgang 1976, hat in Osnabrück Zellbiologie studiert und am Max-Planck-Institut für molekulare Biomedizin in Münster promoviert. Die folgenden zehn Jahre arbeitete sie in der Grundlagenforschung. 2014 heuerte sie beim Biowissenschaftsmagazin „Laborjournal“ an und schrieb fortan – neben ihrer Arbeit im Labor – über Dinge wie Biotechnologie. Weiteres journalistisches Handwerk erlernte sie ebenfalls berufsbegleitend an der Freien Journalistenschule Berlin.
Seit Anfang 2020 arbeitet Sigrid März hauptberuflich als freie Wissenschaftsjournalistin, unter anderem bei Spektrum, MedWatch, Quarks und RiffReporter. Woran sie Falschmeldungen erkennen, erklärt sie Kindern und Jugendlichen als Dozentin bei den „Lie Detectors“. Außerdem engagiert sie sich beim Berufsverband freier Journalist:innen „Freischreiber“, seit Oktober 2021 als Vorstandsvorsitzende.
Im Interview
Wie entstand die Idee zu Ihrem Beitrag und wie haben Sie recherchiert?
Im März 2020 legte SARS-CoV-2 das öffentliche Leben lahm. Wie in ganz Deutschland schlossen Corona-bedingt auch die Schulen in Münster, „Home Schooling“ war angesagt. Beim täglichen Erklären, Hausaufgaben-Kontrollieren und Zoom-Konferenzen-Einstellen mit meinen Kindern fragte ich mich: Was ist mit Schülerinnen und Schülern, die keine passende Technik haben, um am Online-Unterricht teilzunehmen oder erledigte Aufgaben per E-Mail zu verschicken? Oder was ist mit den Kindern, deren Eltern – aus welchen Gründen auch immer – eine solche tägliche Betreuung nicht leisten können? Aus diesen Überlegungen entstanden die Fragen, die ich mit meiner Recherche ursprünglich beantworten wollte: Wie gewährleisten Stadt und Schulen, dass Kinder aus armen Familien auch in den Zeiten der Schulschließung zum Beispiel regelmäßig warmes Essen und nötige Betreuung erhielten? Wie schaut es mit der technischen Ausstattung der Schulen aus, um Familien mit wenig Einkommen mit notwendigen Geräten zu versorgen?
Vor welchen Herausforderungen standen Sie dabei?
Die Schulen waren zunächst geschlossen, Gesprächsanfragen wurden zumindest von städtischen Schulen durchweg abgelehnt. Als die Schulen wieder öffneten, waren Besuche Externer entweder Corona-bedingt nicht erlaubt oder generell nicht erwünscht. Es gelang mir aber, eine Betreuerin einer nichtstädtischen Schule von einem Gespräch zu überzeugen. Sie erzählte von Familien, die sie und ihre Kolleginnen und Kollegen während der Schulschließungen nicht erreichen konnten, von provisorischen Lerngruppen in der Schulbibliothek und von hastig aufgetriebenen Leihgeräten für Kinder, die zu Hause sonst kein Tablet zur Verfügung gehabt hätten. Erschwerend kam hinzu, dass auch schulergänzende Aktivitäten nicht stattfanden, wie etwa städtische Betreuungsangebote für Kinder mit Förderbedarf, Musik- oder Sportfreizeit. Auf Gesprächsanfragen erhielt ich deshalb immer die gleiche Antwort: ‚Findet nicht statt, wir können nichts dazu sagen.‘ Eine Ausnahme war Jochen Schweitzer und seine Initiative ChaCK, die mit dem Zirkusprojekt im Münsteraner Stadtteil Coerde Kindern eine spannende Ferienwoche bescherte. Über Herrn Schweitzer kam ich Kontakt mit insgesamt vier Kindern und deren Angehörigen. Die Gespräche berührten mich sehr, zumal ich als Wissenschaftsjournalistin in der Regel mit weniger emotionalen Themen zu tun habe. Herausgekommen ist am Ende eine sehr persönliche Geschichte über Kidane und Herrn Schweitzer, über den Münsteraner Stadtteil Coerde sowie die Ungleichheit der Wohn- und Lebensbedingungen in verschiedenen Münsteraner Stadtteilen.
Wie wurden Sie dabei unterstützt?
Finanziell gefördert hat die Recherche die Wissenschaftspressekonferenz (WPK) mit ihrem Recherchefonds Covid-19. Gerade für freie Journalistinnen und Journalisten, ohne eine Stammredaktion im Rücken, sind umfangreiche Recherchen sonst kaum zu stemmen. Ralf Heimann und Constanze Busch vom Münsteraner Lokaljournalismus-Projekt und Stadtmagazin RUMS haben mit viel Herzblut den Text redigiert und Fragen gestellt, für die jede Journalistin und jeder Journalist mit fortschreitender Recherchezeit blind wird. Mein Dank gilt zudem Herrn Schweitzer, der geduldig und stundenlang mit mir redete, durch Coerde zog, Kontakte herstellte und an Türen klingelte – aber erst, nachdem ich all seine Fragen beantwortet hatte. Fair enough.
Was macht für Sie persönlich guten Journalismus aus?
Guter Journalismus ist unabhängig, kritisch, exakt sowie gleichzeitig vielfältig und leidenschaftlich. Er regt zum Nachdenken und Diskutieren an, nimmt sich selbst aber zurück und vor allem nicht zu wichtig. Wo geboten, bietet guter Journalismus einen konstruktiven Ansatz.