Daniel Brössler
Kurzbiographie des Nominierten in der Kategorie Thema des Jahres 2023
Daniel Brössler, Jahrgang 1969, begann seine Ausbildung an der Deutschen Journalistenschule wenige Monate vor dem Fall der Berliner Mauer. In den Jahren danach folgte er den Wegen, die sich mit dem Ende der europäischen Teilung öffneten. Seine ersten journalistischen Stationen waren Bratislava und Prag, von wo aus er für die Deutsche Presse-Agentur (dpa) berichtete. 1996 übernahm er die Leitung des dpa-Büros in Warschau. 1999 wechselte er zur Süddeutschen Zeitung nach München. Für die Süddeutsche Zeitung berichtete er ab 2004 als Korrespondent aus Moskau, Berlin und Brüssel. Seit 2018 ist er zurück in Berlin, wo er als leitender Redakteur in der Parlamentsredaktion Bundeskanzler Olaf Scholz beobachtet.
Im Interview
Wie entstand die Idee zu Ihrem Beitrag und wie haben Sie recherchiert?
Am 24. Februar 2022 um 15.04 Uhr verschickte die Pressestelle des Bundestages eine Pressemitteilung. Auf Verlangen des Bundeskanzlers trete der Deutsche Bundestag am Sonntag, 27. Februar 2022, um 11 Uhr zu einer Sondersitzung zusammen. Auf der Tagesordnung stehe eine Regierungserklärung zur aktuellen Lage von Bundeskanzler Scholz und eine anschließende Aussprache. Die „aktuelle Lage“ herrschte zu diesem Zeitpunkt noch keinen ganzen Tag. Russland hatte die Ukraine überfallen, der Krieg war zurückgekehrt nach Europa. Alles andere war ungewiss. Wie lange würde die Ukraine Widerstand leisten können? Für uns in der Redaktion in Berlin stellte sich vor allem die Frage nach der Reaktion der Bundesregierung. Wie weit würde sie in den Sanktionen gegen Russland gehen? Würde Deutschland seinen Widerstand gegen Waffenlieferungen aufgeben? Wir wussten nicht, was Olaf Scholz sagen würde, aber wir wussten, dass seine Rede bedeutend werden würde. Entweder wegen dem, was Scholz sagt – oder wegen dem, was er nicht sagt. So sah es auch die Redaktion der Seite Drei. Am Freitagabend vereinbarten wir eine Reportage über die erste Bundestagssitzung an einem Sonntag.
Vor welchen Herausforderungen standen Sie?
Die Sondersitzung des Bundestages mit der Regierungserklärung des Bundeskanzlers begann pünktlich um 11 Uhr und endete um 14.35 Uhr. An normalen Tagen erwarten die Kolleginnen und Kollegen im Ressort der Seite Drei einen fertigen Text bis 15 Uhr. Damit die Zeitung rechtzeitig in Druck geht, müssen die allerletzten Seiten um 17 Uhr belichtet werden. Eine Herausforderung lag also wie bei eigentlich jeder aktuell zu schreibenden Reportage im Kampf gegen die Uhr. Dabei hatte ich am Morgen das Gefühl, wenigstens nicht unvorbereitet zu sein. Am Samstag hatte die Bundesregierung bereits beschlossen, tausend Panzerabwehrwaffen und 500 Boden-Luft-Raketen vom Typ „Stinger“ aus Beständen der Bundeswehr an die Ukraine zu liefern. Das war ein bemerkenswerter Bruch mit der bisherigen Praxis und ließ eine entsprechende Bundestagsrede erwarten. Überdies hatte ich Kanzler Scholz auf den Reisen begleitet, die er nach Kiew und Moskau unternommen hatte, um den Krieg noch abzuwenden. Das konnte ich einfließen lassen in die Reportage. Die ganze Sitzung verlief dann trotzdem anders als ich erwartet hatte. Ich empfand sie tatsächlich als historisch. Darin, das einzufangen in der Reportage, lag die eigentliche Herausforderung.
Was macht für Sie persönlich guten Journalismus aus?
Neugier, gründliche Recherche, Verständlichkeit – in der Reihenfolge.
Was braucht ein herausragender Artikel?
Jemanden, der ihn schreibt und die Geschichte interessanter findet als sich selbst.