Harald Maass
Kurzbiographie des Autors
Jahrgang 1970, berichtete viele Jahre als Zeitungskorrespondent aus Asien und arbeitet heute als freier Journalist mit Sitz in München. Von Hongkong und Peking aus verfolgte der promovierte Politologe fast eineinhalb Jahrzehnte den Aufstieg Chinas und den gesellschaftlichen Wandel in Asien, unter anderem für die Süddeutsche Zeitung, Frankfurter Rundschau und den Tagesspiegel. Er bereiste mehrfach Nordkorea und gilt als Kenner der abgeschotteten Diktatur. Das journalistische Handwerk lernte er an der Deutschen Journalistenschule in München. Nach einigen Jahren als Inhaber einer Beratungsfirma arbeitet Harald Maass heute wieder als Journalist und beschäftigt sich insbesondere mit investigativen Recherchen. Er ist Autor der Bücher "China im Wandel" und "Kinder des himmlischen Friedens". 2019 wurde er mit dem Deutschen Reporterpreis (Beste Reportage) ausgezeichnet.
Im Interview
Wie entstand die Idee zu Ihrem Beitrag und wie haben Sie recherchiert?
Ich kannte die Region Xinjiang von früheren Reisen als Korrespondent. Anfang 2018 wurde klar, dass dort etwas nicht stimmt. Mich hatte eine Person mit familiären Wurzeln in Xinjiang darauf aufmerksam gemacht, dass in Deutschland lebende Uiguren und ethnische Kasachen plötzlich ihre Freunde und Verwandten in Xinjiang nicht mehr kontaktieren konnten. Es gab Gerüchte über Umerziehungslager, später erste Berichte von geflüchteten Menschen. Bei meinen Recherchen bin ich dann auf einen chinesischen Studenten in Kanada gestoßen, der über Satellitenaufnahmen eine Vielzahl von Lagern identifizieren konnte. Das Material war dann auch Grundlage für meine Undercover-Recherche, für die ich drei Wochen durch Xinjiang und die Region gereist bin.
Vor welchen Herausforderungen standen Sie dabei?
Von Beginn an war klar, dass dies keine normale Recherche werden würde. China fährt in Xinjiang einen extrem harten Kurs. Reporter werden eingeschüchtert und verhaftet, ein Fotograf wurde monatelang von der Staatssicherheit festgehalten und verhört. Deshalb musste ich bei meiner Recherche selbst für chinesische Verhältnisse extrem vorsichtig sein. Die Behörden hätten mir im schlimmsten Fall Kontakt zu Terrororganisationen vorwerfen können, da ich im Vorfeld der Reise Interviews mit uigurischen Exil-Organisationen geführt hatte, die Peking pauschal als Terroristen einstuft.
Aus diesem Grund hatte ich viele Vorsichtsmaßnahmen getroffen – deutlich mehr als bei anderen Geschichten. Vor der Einreise habe ich die Daten auf meinem Computer und Handy mit einer Spezialsoftware gelöscht, mit der auch Regierungsbehörden arbeiten. Sämtliche Accounts, wie E-Mail und andere Dienste, waren neu angelegt, so dass man nicht nachvollziehen konnte, dass ich Journalist bin. Eine grundsätzliche Entscheidung war, dass ich alle sensiblen Interviews mit ehemaligen Lagerinsassen und Familienangehörigen außerhalb von Xinjiang an geheimen, sicheren Orten geführt habe. Sonst wäre das Risiko für meine Interviewpartner zu groß gewesen.
Ich habe während der Recherche aus Sicherheitsgründen keine schriftlichen Notizen gemacht, sondern ein vermeintliches „Tagebuch“ geführt, in das ich Informationen verschlüsselt eingetragen habe. Wenn mich die Sicherheitspolizei stoppt – was auch mehrfach passiert ist – durften sie nichts Verdächtiges an mir finden. Meine Kamera hatte ich über die Schulter gehängt, als ob sie aus ist, und den Auslöser über das Handy gesteuert. Auf diese Weise fotografiert man in eine andere Richtung, als in die man schaut. Trotzdem war ich mir bis zum Schluss nicht sicher, ob man mir möglicherweise eine Falle stellt. Als ich in der ersten Nacht verschlüsselt und über VPN die ersten Bilder und Notizen in meine Cloud geladen habe, war ich ziemlich nervös.
Von wem wurden Sie dabei unterstützt?
Das war ein ziemliches Solo-Projekt. Außer meiner Familie wusste fast niemand von der Recherche. Das war auch wichtig, um mich bei einer möglichen Festnahme zu schützen. China hatte es bis dahin geschafft, die riesigen Umerziehungslager und die Unterdrückung der Minderheiten vor der Weltöffentlichkeit nahezu geheim zu halten. Das wollte ich ändern. Allerdings war klar, dass keine Redaktion einen Reporter für ein solches Projekt losschickt. Die Recherchereise habe ich deshalb allein und auf eigenes Risiko organisiert. Später beim Schreiben haben mir zwei gute Freunde Feedback zum Text geben, wofür ich immer sehr dankbar bin. Die Zusammenarbeit mit der Redaktion des SZ-Magazins bei der Veröffentlichung war hervorragend.
Was macht für Sie persönlich guten Journalismus aus?
Mich begeistert Journalismus, wenn er mich emotional und intellektuell berührt und wenn ich dabei etwas lerne. Die Grundlage ist immer Unabhängigkeit, Mut und Neugier.
Was braucht ein herausragender Artikel?
Ein relevantes Thema, einen guten Schreiber, die Fähigkeit zur Selbstkritik und viel Zeit.