Marcus Jauer
Kurzbiographie des Autors
1974 in Borna bei Leipzig geboren, hat als Redakteur für die Süddeutsche Zeitung gearbeitet, zuerst für die Berlin-Seite, später als Reporter für die Seite Drei und als Streiflicht-Autor. Danach wechselte er zur Frankfurter Allgemeinen Zeitung, wo er die Reportage-Seite im Feuilleton aufbaute und sechs Jahre lang leitete. Seit 2014 arbeitet er als freier Autor, unter anderem für Die Zeit und das Magazin der Süddeutschen Zeitung. Er ist Vater von drei Kindern, wohnt in Berlin und hat mit seiner Frau Alexa Hennig von Lange mehrere Sachbücher veröffentlicht.
Im Interview
Wie entstand die Idee zu Ihrem Beitrag und wie haben Sie recherchiert?
Ausgangspunkt war die Beobachtung, dass die Klimaforschung seit nunmehr 25 Jahren eindringlich und mit immer dramatischeren Szenarien mahnt, es müsse endlich etwas für den Klimawandel getan werden, es sei jetzt wirklich fünf vor zwölf. Daran haben wir uns inzwischen fast alle gewöhnt. Wenn man diese Beobachtung aber einmal genau nimmt, dann ist sie enorm irritierend. Wie kann es sein, dass es seit 25 Jahren fünf vor zwölf ist? Ist das falscher Alarmismus? Oder im Gegenteil – falsche Beruhigung? Und wie spät ist es eigentlich wirklich? Das war die Frage, ich mir gestellt habe.
Vor welchen Herausforderungen standen Sie dabei?
Die Recherche, für die ich mit Klimaforschern, Politikern und Politikberatern gesprochen habe, zeigte, wie unangenehm es für die Wissenschaft werden kann, wenn sie ins Getriebe der Politik gerät. Normalerweise machen Wissenschaftler Wissenschaft und Politiker Politik. Beim Kampf gegen den Klimawandel wird Politik auf Grundlage von Wissenschaft gemacht – wenigstens ist das der Eindruck, den die Politik vermittelt. Auf der anderen Seite aber hat die Politik genau diesen Kampf so lange schleifen lassen, dass ihre Klimaziele in Wahrheit nun kaum noch zu erreichen sind. Tatsächlich ist es längst fünf nach zwölf. Das zeigen alle Klimamodelle, mit denen die Wissenschaft berechnet, wie die Erderwärmung in Zukunft voranschreiten wird. Was den Kampf gegen den Klimawandel angeht, bewegen wir uns in einer Scheinrealität. Die Politik sagt das nicht offen, weil sie das eigene Scheitern nicht eingestehen will und es schon schwierig genug war, sich national und international überhaupt auf Klimaziele zu einigen. Deshalb hält sie an diesen unrealistischen Zielen fest. Die Wissenschaft bringt das in ein moralisches Dilemma: Soll sie die Ziele stützen, damit überhaupt etwas passiert? Oder räumt sie die Ziele als nicht mehr erreichbar ab, auch auf die Gefahr hin, dass dann der Kampf gegen den Klimawandel erlahmt, weil er gar nicht mehr zu gewinnen ist? Diesen Zwiespalt empfinden viele Klimaforscher, aber nicht alle wollten darüber sprechen.
Von wem wurden Sie dabei unterstützt?
Von Tanja Stelzer und Wolfgang Uchatius, den beiden Ressortleitern des Dossiers der ZEIT – einem sehr schönen Platz für Geschichten, die der Sache auf den Grund gehen wollen.
Was macht für Sie persönlich guten Journalismus aus?
Im Wissen darum, dass die Dinge oft komplizierter sind, als sie sich darstellen lassen: ein aufrichtiges Bemühen um Offenheit, Klarheit und Neutralität – in der Recherche, im Schreiben und im Argument.
Was braucht ein herausragender Artikel?
Einen unvoreingenommenen Blick auf die Welt.