Hatice Akyün
Kurzbiographie der Nominierten in der Kategorie Meinung 2021
Geboren 1969 in Akpinar Köyü in Zentralanatolien, zog sie 1972 mit ihren Eltern nach Deutschland und wuchs in Duisburg auf. Sie absolvierte zunächst eine Ausbildung zur Justizangestellten beim Amtsgericht. Während ihres Studiums arbeitete sie bereits als Freie Mitarbeiterin in der Lokalredaktion der Westdeutschen Allgemeinen Zeitung in Duisburg. Ein Volontariat folgte. Im Jahr 2000 zog sie nach Berlin und arbeitete als Society-Reporterin für das Lifestyle-Magazin „Max“. Seit 2003 schreibt Hatice Akyün als freie Journalistin unter anderem für „Spiegel“, „Die Zeit“, und „Tagesspiegel“.
Im Tagesspiegel erscheint seit 2011 ihre Kolumne „Ansichtskater". 2005 veröffentlichte sie ihr erstes Buch „Einmal Hans mit scharfer Soße“, das 2013 für das Kino verfilmt wurde. 2008 erscheint ihr zweites Buch „Ali zum Dessert“ und 2013 ihr drittes Buch „Ich küss dich, Kismet“.
Im Interview
Wie entstand die Idee zu Ihrem Beitrag und wie haben Sie recherchiert?
Die Idee entstand kurzfristig. Es war der Tag, an dem die Firma Biontech bekannt gab, dass der von ihnen entwickelte Corona-Impfstoff eine Zulassung bekommen hatte. So gut wie jedes Medium schrieb neben dieser Meldung auch, dass die Gründer:innen und Wissenschaftler:innen türkischer Abstammung seien. Ich fand es zunächst nicht ungewöhnlich, aber mit jeder neuen Meldung über Uğur Şahin und Özlem Türeci erinnerte ich mich an das Gefühl, das ich vor Jahren als Gast einer Fernsehsendung hatte. Ich wusste, dass es nun Zeit war, dieses Gefühl in Worte zu fassen, und warum es nicht möglich ist, als Migrant:in selbstverständlich Teil der Mehrheitsgesellschaft zu werden, solange erfolgreiche Migrant:innen ihren Platz in der Integrations-Manege haben. Ein Meinungsstück, das eine tiefergehende Recherche nicht erforderte. Ausgenommen natürlich Daten und Fakten zum Unternehmen, Impfstoff und den Fakten zu Fatih Akin, Mesut Özil und türkischstämmige Unternehmer:innen in Deutschland.
Vor welchen Herausforderungen standen Sie dabei?
Die größte Herausforderung war, aus meinem persönlichen Empfinden heraus das große Ganze nicht aus den Augen zu verlieren. Es ging mir darum, anhand von viel wichtigeren und größeren Beispielen offenzulegen, dass es in Deutschland immer noch darauf ankommt, woher man stammt, um erfolgreich zu sein, aber gleichzeitig immer als Ausnahme gilt, wenn man es geschafft hat. Ein Kreis, aus dem man nie ausbrechen kann.
Von wem und/oder wie wurden Sie dabei unterstützt?
Meine Ressortleiterin Anna Sauerbrey hat mich sehr bestärkt. Anfangs wollte ich den Text nicht schreiben, weil mich das Thema Integration und Migration sehr ermüdet. Ich sehe mich selbst ja nicht als türkischstämmige Journalistin, wie viele andere, sondern als Journalistin. In diesem Text aber war genau das das Thema, eben raus aus der Manege.
Was macht für Sie persönlich guten Journalismus aus?
Guter Journalismus bedeutet für mich, sich der emotionalen Empörung als Journalist:in zu entziehen und mit valider Recherche zu ersetzen, Fakten und Interpretation klar voneinander zu trennen. Journalismus braucht Zeit, genauer hinzuschauen, in die Tiefe zu tauchen, zu erklären, so dass verstanden werden kann. Aber auch mitfühlen und teilhaben, an dem, worüber berichtet wird. Deshalb ist es umso wichtiger, dass Journalismus von Menschen mit verschiedenen Biographien und Erfahrungen gemacht wird. Sie tragen mit ihrer Sichtweise zu einem guten Journalismus bei. Guter Journalismus ist aber auch verantwortungsvoller Journalismus. Er ist wichtiger denn je, damit Menschen sich zurechtzufinden in der Flut von Fakten, Halbwahrheiten und Verschwörungstheorien.
Was braucht ein herausragender Artikel?
Eigentlich nicht viel. Ein guter Artikel lockt mich mit dem ersten Satz hinein und lässt mich erst am Ende des letzten Satzes wieder los.
Was erwarten Sie von der Preisverleihung?
Dass sie hoffentlich analog stattfindet. So wichtig ich Digitalisierung finde, so sehr habe ich im letzten Jahr den Kontakt zu meinen Kolleginnen und Kollegen und den persönlichen Austausch vermisst. Ich würde mich unendlich freuen, am 9. Juni durch eine echte Tür zu gehen und in die freudigen und gespannten Gesichter meiner Kolleginnen und Kollegen zu blicken.