Der Theodor-Wolff-Preis 2009
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Preisträgerinnen und Preisträger
Kategorie Kommentar / Glosse
Eine Liebe verschwindet
Die Zeit vom 6. November 2008
Journalist
Kategorie Allgemeines
Bis zum letzten Schlag
Süddeutsche Zeitung vom 24. Dezember 2008
Journalist
Aleksandr, der Bruchpilot
Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 3. Mai 2008
Journalist
Kategorie Lokales
Die Weihnachtsgeschichte von einem Kind, das in der Zehlendorfer Babyklappe lag
Berliner Morgenpost vom 24. Dezember 2008
Journalistin
Kategorie Lebenswerk
Preis für das Lebenswerk
Publizistin
Preisverleihung
Redetexte
Es gilt das gesprochene Wort
Herzlich bedanke ich mich bei Geschäftsführung und Chefredaktion der Deutschen Presse-Agentur für die freundliche Einladung nach Berlin. Die dpa zählt zu den Jubilaren des Jahres 2009, genau wie die Bundesrepublik Deutschland und unser Grundgesetz mit dem Artikel 5, der unsere Meinungs- und Pressefreiheit garantiert.
Gestern vor 60 Jahren, am 1. September 1949, ging die erste dpa-Meldung über den Ticker. Die dpa war und ist ein Garant für eine unabhängige, breit gefächerte Berichterstattung und damit auch eine tragende Säule unseres vielgestaltigen Pressewesens. Und nebenbei bemerkt: Schon 1963 wurde ein Redakteur der dpa mit dem Theodor-Wolff-Preis ausgezeichnet: Rudolf Küstenmeier, seinerzeit ein verdienstvoller Nahost- und Israel-Korrespondent.
Mit der Zusammenfassung der dpa-Redaktionen in Berlin wird die Leistungsfähigkeit unserer Agentur weiter gestärkt. Wir, die deutschen Zeitungsverleger, freuen uns über diese Entwicklung und werden sie mit großem Interesse verfolgen.
Die Zeitung, wie wir sie kennen und schätzen, steht in einem Transformationsprozess wie wohl niemals zuvor in ihrer Geschichte. Schneller ist die Devise, bunter, individueller, dem Publikum noch stärker zugewandt.
Wenn es um Qualitätsjournalismus geht, braucht sich die Zeitung jedenfalls nicht zu verstecken. Die Preisträgerinnen und Preisträger, die wir heute ehren, geben diesem Journalismus ein Gesicht: Regina Köhler für die „Berliner Morgenpost“, Henning Sußebach für „Die Zeit“, Bastian Obermayer für die „Süddeutsche Zeitung“ und Thomas Scheen für die „Frankfurter Allgemeine Zeitung“. Sie haben mit Reportagen und Essays Maßstäbe für Qualität gesetzt, an denen sich junge Journalisten orientieren können. Ihre Beiträge stehen für geistige Unabhängigkeit und Seriosität, ganz im Sinne des Namensgebers dieses Preises.
Ich freue mich, dass die Zahl der eingesandten Arbeiten wieder gestiegen ist: und zwar auf 374. In die Endauswahl haben es 17 Texte geschafft. Bedauerlich finde ich aber, dass nach wie vor zu wenig gute Beiträge aus dem Lokalen eingereicht werden.
Das sollte sich ändern. Die lokale und regionale Berichterstattung ist eine der Hauptsäulen unseres Mediums. Hier können und müssen wir täglich unsere Kompetenz beweisen. Ich bin der festen Überzeugung, dass es viele preiswürdige Artikel gibt, die unsere Jury nur leider nicht zu sehen bekommt, und dass es mit Engagement und Ehrgeiz sogar noch mehr werden könnten.
Meine Idealvorstellung heißt: Aus jedem Haus ein preisverdächtiger Beitrag! Das wird sich nicht von heute auf morgen verwirklichen lassen. Aber wir sollten es angehen. Denn fest steht: Gerade kleine und mittlere Zeitungen mit dem Lokalteil als Kernkompetenz sind für die politische und geistige Orientierung in ihrer Region entscheidende Größen.
Zum siebten Mal wird heute Abend auch ein journalistisches Lebenswerk mit dem Theodor-Wolff-Preis ausgezeichnet. Die unabhängige Jury würdigt damit die Arbeit von Frau Nina Grunenberg. Sie hat sich als Reporterin, Ressortleiterin und stellvertretende Chefredakteurin der Wochenzeitung „Die Zeit“ mit klugen, kritischen, gründlich recherchierten Porträt-Reportagen einen Namen gemacht. Vor 35 Jahren, 1974, wurde ihr erstmals der Theodor-Wolff-Preis zuerkannt.
Nina Grunenberg – daran möchte ich in dieser Stunde erinnern – hat schon 1967 mutig die gängige Regel in Frage gestellt, wonach Journalisten nicht über Kollegen schreiben. Sie lieferte in ihrem Buch „Die Journalisten“ typische „Bilder aus der deutschen Presse“ und ließ ihr Publikum an Arbeit, Atmosphäre, Milieu und Mitteln des alltäglichen Journalismus teilhaben.
Es war das Jahr, in dem erstmals das Schreckwort vom „Zeitungssterben“ kursierte und der Deutsche Bundestag über die „Krise der Presse“ debattierte.
Wir sehen: Das Krisen-Thema ist nicht neu. Aber es stellt sich uns heute in anderer Form dar. Damals, in den späten 1960er Jahren, ging es in erster Linie um ökonomische Probleme. Mit ihnen haben wir es natürlich auch heute noch zu tun. Doch angesichts immer mehr konkurrierender Medien ist die Frage nach den Inhalten, nach ihrer Qualität in den Fokus gerückt.
Der Zeitungsjournalismus kann nicht da weitermachen, wo die elektronische Konkurrenz mit ihren publizistischen Ansprüchen stehen- (oder besser gesagt: stecken-) geblieben ist. Immer mehr vom Selben kann nicht das richtige Konzept sein!
Wir müssen die Zeitung nicht neu erfinden. Wir müssen aber dem Leser transparent machen, welchen Mehrwert ihm die Zeitung bietet!
Es ist ein Faktum, dass die Vermehrung des Informations- und Unterhaltungsangebots das Nutzerverhalten tiefgreifend verändert hat. Das gilt vor allem für die ans Internet gewöhnte jüngere Generation.
Ich bin allerdings so optimistisch zu behaupten, dass die Frage „Verdrängt das Internet die Zeitung?“ mit einem klaren „Nein!“ beantwortet werden kann. Forschungsergebnisse zeigen, dass das Internet weniger als kontinuierliche Informationsquelle genutzt wird. Dagegen wird es in hohem Maß für Kommunikation und individuelle Suchabfragen eingesetzt.
Bundestagspräsident Norbert Lammert hat das beim Medienforum NRW in Köln, wie ich meine, zu Recht auf die Formel gebracht: „Der typische Internetnutzer fragt Sachverhalte nach, an denen er ein ausdrückliches Interesse hat. Der tägliche Nutzer einer Tageszeitung reklamiert kein spezifisches Informationsbedürfnis, sondern erwartet ein Informationsangebot.“
Das Problem dabei: Vielen jungen Leuten reicht die Information, die sie über diese selektive Suche erhalten, vollkommen aus. Und genau das ist die große Herausforderung für die Verlage.
Sie, diese freien Medien sind der Kitt der Bürgergesellschaft. Sie sind allerdings nicht der gesellschaftliche Reparaturbetrieb, der das wieder ins Lot bringt, was in Politik und Gesellschaft schiefgegangen ist. Das wäre ein gravierendes Missverständnis. Doch unsere Medien müssen sich schon selbstkritisch fragen, ob sie immer ihre Stärken ausgespielt haben oder ob sie sich dem Hang zum Infotainment, zur vordergründigen Personalisierung und auch zur Trivialisierung der Politik angeschlossen haben.
Damit wir uns recht verstehen: Unterhaltung muss – auch – sein. Das erwarten die Leser, Hörer, Zuschauer heute von den Medien mehr noch als früher. Dabei darf es jedoch nicht zu einer Verdrängung des Analytisch-Politischen zugunsten des Schnellen und Unterhaltsamen kommen. Diesen Trend finden wir leider in den elektronischen Medien wie auch in unseren Blättern. Aber: Je mehr Geschwindigkeit, desto eher droht Qualität verloren zu gehen.
Wenn Bundestagspräsident Lammert sagt, er habe den Eindruck, dass in den Redaktionen die Onlinenachrichten immer mehr den Zeitungsauftritt bestimmen, dann ist das sicherlich eine überspitzte Aussage. Aber sie ist gleichwohl bedenkenswert. Das Internet ist vor allem ein schnelles Medium. Das Plakative, die Schlagzeile gewinnt in ihm meist Vorrang vor dem Hintergründigen, Schnelligkeit ist oft wichtiger als Sorgfalt. Wenn Redaktionen nicht aufpassen und ihren Internetauftritt nicht eindeutig von ihrem Zeitungsauftritt unterscheiden, beschädigen sie damit leicht ihr Print-Produkt.
Es wäre spannend zu erfahren, was Theodor Wolff, der legendäre Chefredakteur des „Berliner Tageblatts“, zu den Veränderungen im Journalismus sagen würde. Der geniale Leitartikler Wolff hat sich generell sehr sparsam zu Fragen des Metiers geäußert. Was Verleger und Redakteure auf jeden Fall von ihm lernen können, ist Haltung, Widerständigkeit gegen unreflektierte Anpassung an das, was gerade „in“ ist. Ein bequemer Mann war Theodor Wolff nie.
Die Berufung auf den Namensgeber dieses Preises bedeutet dabei nicht, dass Zeitungsunternehmen auf Experimente und Innovationen verzichten sollen. Ganz im Gegenteil. Sie haben beides zu tun: die Zeitung zu stärken und gleichzeitig Neues zu erproben. Auch dabei zeigt sich wieder: Qualität gibt es nicht zum Nulltarif. Unsere Verlage müssen in Qualität investieren, unser Markenkern sind die guten, kritischen, gründlich recherchierten Inhalte.
Ich bin mir sicher, dass sich guter Journalismus, der sich scharf abgrenzt von Werbung und PR, auf Dauer auch ökonomisch rechnet. Aber das Problem ist, dass er sich nicht sofort in Bilanzen darstellen, am Gewinn, an der schnellen Rendite messen lässt. Er verlangt einen „langen Atem“, verlangt publizistische Leistung und unternehmerische Kreativität. Gerade in der augenblicklichen Wirtschafts- und Finanzkrise.
Diese Krise darf nicht zum Vorwand genommen werden, Redaktionen auszudünnen oder journalistische Aufgaben zunehmend auszulagern. Vor allem für publizistische Kernbereiche verbietet sich meines Erachtens ein Outsourcing, will man nicht das Vertrauen des Lesers in „seine“ Zeitung zerstören.
Ich weiß, dass ich mit dieser Aussage sehr puristisch, um nicht zu sagen fundamentalistisch bin. Jedoch gerade in den vergangenen Wochen und Monaten habe ich aus eigener Erfahrung erlebt, dass die gründliche Recherche einer motivierten Redaktionsmannschaft journalistische Glanzstücke hervorbringt, welche vom Leser eindeutig honoriert werden.
Ich sehe aber auch mit Genugtuung, dass dieser Trend zur Stärkung der hauseigenen Recherchekompetenz zunehmend in einer Reihe von Redaktionen Platz findet. Das ist innovativ und mitten in der Krise eine gute Nachricht. Kostet doch investigativer Journalismus Geld. Es ist gut angelegtes Geld. Und es wird nicht ohne Umschichtungen in den Redaktionsetats abgehen.
Investigativer Journalismus bedeutet ja nicht, dass man – weil es wenig kostet und bequem ist – atemlos im Internet surft und aus nicht immer verifizierbaren Quellen schöpft. Man muss schon nach „draußen“ gehen und unabhängig von den Wasserträgern der Mächtigen aus Politik, Wirtschaft und Geistesleben Informationen aus erster Hand sammeln, Zeit und Geduld aufwenden. Aus Redaktionsroutine entstehen keine Beiträge, die über den Tag hinaus wirken.
Sie, meine sehr geehrten Preisträgerinnen und Preisträger, haben die „Mühe der Ebene“ auf sich genommen. Ihre Texte sind originelle, tiefschürfende, aus dem Rahmen des Üblichen herausfallende Arbeiten. Ich beglückwünsche Sie dazu herzlich im Namen von Kuratorium und Jury des Theodor-Wolff-Preises. Ich danke Ihnen! Und lassen Sie mich in diesen Dank die Damen und Herren der Verlage einbeziehen, die diese herausragenden journalistischen Leistungen mit ermöglicht haben. Sie widerlegen ein wenig den gern erhobenen Vorwurf, die Ökonomie, die unsere ganze Gesellschaft im Griff habe, dominiere auch den Journalismus und grabe ihm das Wasser ab.
Lebenswerk – liebe Nina Grunenberg, das sind in Ihrem Fall fünfzig Jahre im schönsten Beruf der Welt, ein halbes Jahrhundert Neugier, Lernen, Begreifen, das große Privileg, hinter in der Regel verschlossene Türen blicken, mit Menschen reden zu können, die nicht für jedermann zugänglich sind.
Lebenswerk heißt aber auch, fünf Jahrzehnte lang um den – immer – schrecklichen ersten Absatz ringen zu müssen, sich dumm und dußlig zu recherchieren, bloß um die Stunde der Wahrheit noch ein bißchen rauszuzögern, wenn nämlich aus der Recherche ein anständiges Stück entstehen muß. Lebenswerk heißt Selbstzweifel – „das will doch keiner wissen, was ich hier aufschreibe!“, die erstmal vergebliche Suche nach schönen und besonderen Formulierungen – „das klingt doch alles staubtrocken“, der Kampf mit den deadlines und dem jeweiligen Ressortleiter oder Chefredakteur, die nichts, aber wirklich gar nichts von dem kapieren, was ich erzählen will. Fünfzig Jahre Masochismus – puha! Aber wenn die Geschichte druckt, ist alles wieder gut. Bis zum nächsten Mal.
Sie, liebe Nina Grunenberg, werden heute geehrt für die wunderbaren Ergebnisse dieser Tortur, und ich freue mich sehr, daß ich Sie deswegen „würdigen“ darf. Wir kennen uns gar nicht, was eigentlich merkwürdig ist, denn ich bin etwa so lange in unserem Gewerbe zugange wie Sie. Aber ich war halt so viele Jahre im Ausland, habe mich in so vielen Medien rumgetrieben, daß die ZEIT für mich Basis-Lektüre war aus der Distanz, was es mir aber in all den Jahren ermöglichte, Nina Grunenberg zu lesen.
Und das war ein Vergnügen, immer. Zum einen, weil Sie zu der raren Species Kolleginnen gehörten – Sie und ich können ein Lied davon singen, wie wenige Frauen, sieht man mal ab von der Gräfin oder Carola Stern, in den frühen Jahren im politischen Journalismus eine Rolle spielten. Zum anderen aber war meine Neugier auf Sie auch ein bißchen Neid-besetzt, weil Sie so schöne Themen hatten: die Generäle, die Botschafter, die Chefs, sprich die großen Players der Wirtschaft, die Gewerkschafter... Sie haben sich auch auf den kommunalen Ebenen getummelt –„der Staat ganz unten“ hieß das und war hoch spannend. Ganze Serien waren das jeweils, so was machte auch nur die ZEIT. Doch als ich mich jetzt noch mal – aus diesem Anlaß hier – durch das Archiv wühlte, erlebte ich ein Phänomen: ich war auf der Suche nach Nina Grunenberg, und ich erwischte mich dabei, daß ich an den Geschichten hängen blieb. Ich konnte gar nicht aufhören zu lesen, weil mich der jeweilige Stoff gepackt hatte, die Art, wie er beschrieben war, die Analysen. Nina Grunenberg, die Person, verschwindet hinter dem Inhalt.
Das kommt daher, daß Sie, hochgeschätzte Kollegin, die hohe Schule des Berufs perfekt umgesetzt haben: von sich abzusehen. Sie haben nicht recht um jeden Preis. Sie ergreifen nicht Partei. Sie lassen den Leser urteilen. Sie denunzieren nicht. Nirgendwo bei ihnen habe ich Häme gefunden, Polemik, oder die allfällige Besserwisserei, die besonders zu Zeiten der 68er Bewegung in der politischen Berichterstattung um sich gegriffen hatte, als viele immer schon die Antworten parat hatten, bevor noch die Fragen gestellt waren.
Dabei gehörte die ZEIT damals durchaus zur sogenannten Kampfpresse. An der Seite von Spiegel, Stern, Frankfurter Rundschau, aber auch der ARD und dem Rowohlt-Verlag mischte sie kräftig mit im verbalen Schlagabtausch gegen Springer, Burda, Bauer, nicht zu vergessen das ZDF mit seinem unsäglichen Herrn Löwenthal. ZEIT-Protagonisten tummelten sich als Wortführer auf den Podien studentischer Sit-ins oder beim „Kongreß für die Freiheit der Kultur“ – der CIA sei Dank. Das war eine schöne Einrichtung.
Nina Grunenberg hielt sich zurück, was auch dazu führte, daß sie in allen politischen Lagern als Beobachterin zugelassen war. Von Helmut Schmidt bis zu Helmut Kohl haben die Herren ihr Einlaß gewährt, und Nina Grunenbergs Präferenzen sind allenfalls an der Frequenz der Artikel abzulesen. Es gibt kaum einen relevanten Politiker in all den Jahren, den sie nicht portraitiert hat. Immer in geschliffenem Stil, immer mit erstaunlichen Beobachtungen – sie redet nicht viel, aber sie guckt genau. Neunhundert und ein paar zerquetschte Artikel von ihr habe ich im ZEIT-Archiv gefunden. Wahrscheinlich sind es mehr, auf alle Fälle sind es viele, vor allem, wenn man bedenkt, wieviel Tortur im oben beschriebenen Sinn für jeden in Kauf genommen worden ist.
Daneben kommen Nina Grunenbergs Bücher ins Spiel – acht habe ich gezählt, manche sind Zusammenfassungen von ZEIT-Geschichten, manche eigenständig. Jedes ist Arbeit – ich weiß wovon ich rede. Aber jedes profitiert von Nina Grunenbergs nie zu befriedigender Neugier, von ihrer Wißbegier, dem Zwang zu fragen. Immer lernt sie, immer staunt sie, immer, auch heute noch, ist sie Novizin, die anderer Menschen Kenntnisse und Erfahrungen aufsaugt. Sie setzt sie um und übersetzt sie in ihren Geschichten – da ist, bis heute, nichts Neunmalkluges dabei, höchstens mal Verblüffung darüber, daß Einfaches so kompliziert daher kommen kann.
Nina Grunenbergs zweites (drittes?) Standbein war früh schon die Hochschulpolitik, dann die Wissenschaft. Sie mußte zum Jagen getragen werden, höre ich aus der Redaktion. Spontane Liebe zum Sujet war es wohl nicht. Aber was für eine Kompetenz ist daraus erwachsen! Die gelernte Buchhändlerin, die selbst nie studiert hat, grub sich in diese schwierige Thematik ein – mit durchschlagendem Erfolg. Ich habe es aufgegeben, die verschiedenen Themen, die sie in diesem Bereich bearbeitet hat, irgendwie zuzuordnen. Das ist nicht mein Beritt. Aber wenn ich denn den einen oder anderen Artikel zwischendurch gelesen habe, kompliziert, wie das Thema klang – das war so nicht. Ich habe – ich!! die ich zwei und zwei nicht zusammenzählen kann – ich habe verstanden, was Nina Grunenberg für mich aufgeschrieben hat. Das nenne ich journalistische Qualität.
Im Jahr 2000 hat der Bundespräsident Nina Grunenberg in den Wissenschaftsrat berufen – haben wir je eine Journalistin dort gesehen, ohne akademische Vorbildung, eine schlichte Autodidaktin? Aber eben trittsicher auf dem glatten Parkett der Wissenschaftspolitik. Dazu braucht es keine Quantentheorie, wohl aber den Durchblick im Gestrüpp der widerstreitenden Ambitionen in der Bildungswirtschaft. Bei den Raufereien der Platzhirsche in den rivalisierenden Hochschulen und unter den Präsidenten der Wissenschaftsgesellschaften geht es um Geld, natürlich. Gleichzeitig aber auch um Inhalte, Prioritäten, Platz und Sieg. Da heißt es, sich nicht vereinnahmen zu lassen, bloß weil die anderen ihre vielen akademischen Titel ins Feld führen, da muß der Kopf in der kühlen Distanz verbleiben. Nina Grunenberg hat das offensichtlich bewältigt, denn ihr Mandat ist nach drei Jahren auch noch verlängert worden – vielleicht erzählen Sie mir jetzt, das sei üblich so. Ich finde es beeindruckend.
Nun kann man sich natürlich – bei dem Ehemann – in puncto Wissenschaft fragen: wo ist die Henne und wo ist das Ei. Ich weiß jetzt nicht, was ursächlicher ist, Henne oder Ei. Aber was ich weiß – ich kann schließlich Daten vergleichen: Nina Grunenberg hat sich mit Wissenschaft beschäftigt, bevor Reimar Lüst ins Spiel kam, – ja, der Verdacht liegt nahe, daß Reimar Lüst auftauchte WEGEN Nina Grunenbergs Beschäftigung mit Wissenschaft. Macht ja nichts, er ist jedenfalls da. Und alle erzählen mir, daß der jeweilige Freundeskreis sich ungeheuer bereichert habe durch die vom jeweils anderen eingebrachten Menschen. Wir alle hier können uns vorstellen, was das heißt, wenn die normalerweise sehr inzüchtig gehandhabten Umgangskreise von Journalisten einerseits und Astro-Physikern andererseits plötzlich auf einander losgelassen werden: da gibt es völlig neue Perspektiven, ganz neues Sich-aufeinander-Einlassen. Da muß man hinhören, die eigenen Maßstäbe vom Nabel der Welt befreien, auch der Weltraum wird wahrscheinlich ziemlich irdisch.
Apropos Weltraum: Reimar Lüst hat einen Stern, wirklich wahr, einen Asteroiden, der da oben irgendwo herumschwirrt und in Anerkennung von Reimar Lüsts großen Verdiensten nach ihm benannt ist. Verzeihen Sie, liebe Nina Grunenberg – Sie wären auch nicht an diesem Stern vorbei gegangen. Irgendwie mußte ich ihn unterbringen, denn das ist ja schon was: wer hat schließlich einen Stern? Aber was macht man damit? Ich kann mir allerlei Romantisches vorstellen, aber seien wir ehrlich: So ein Stern ist weit weg, aus Stein vermutlich, ziemlich leblos auch.
Hier aber haben wir es mit einem Star zu tun, mit einem Menschen aus Fleisch und Blut und einem halben Jahrhundert Lebenswerk. Allerdings: „Lebenswerk“ klingt irgendwie endlich, finde ich, und ich würde gern ein „bis jetzt“ damit verbinden, oder es „vorläufig“ nennen. Ich komme auch gern in zwanzig Jahren wieder und dann machen wir das Ganze noch mal. Denn dies hier ist kein Nachruf, sondern ein Zwischen-Triumph auf dem Weg zu dem, was wir von Nina Grunenberg weiterhin erhoffen wollen. Fünfzig Jahre sind – zugegeben – eine lange Zeit, und jeder, der über eine solche Distanz Maßstäbe gesetzt hat, muß sich zurücklehnen dürfen und sagen können: Das war’s. Aber schöner wäre es für uns alle, liebe Nina Grunenberg, Sie würden damit noch ein bißchen warten.
Video der Theodor-Wolff-Preisverleihung am 2. September 2009 in Berlin
Anzeige: Glückwunsch an die Preisträger
Wir gratulieren den Preisträgern.
Sie haben journalistische Glanzstücke geliefert – brillant in Sprache, Stil und Form, Zeugnisse einer demokratischen und gesellschaftspolitischen Verantwortung.
Sie stehen damit in der Tradition von Theodor Wolff (1868-1943), dem einstigen Chefredakteur des legendären „Berliner Tageblatts“.